Donnerstag, 28. Juni 2007

Prüfung auf italienisch...

Zwar hat mich Laura gebeten, das nicht in Deutschland zu erzählen, aber ich muss doch hier berichten, wie meine erste italienische Prüfung verlaufen ist!

Die hat am Montag stattgefunden und war wohl die seltsamste Prüfung meines Lebens. Das Fach war Elettrodinamica Quantistica – also ein nicht ganz triviales Thema – und die Vorlesung wurde von einem Inder gehalten. Insgesamt war es die Vorlesung, die mir am meisten Spaß gemacht hat, da Professor Srivastava didaktisch ziemlich gut ist und ich habe relativ viel Zeit auf das Lernen verbracht. Außer mir wollten noch drei andere an diesem Tag die Prüfung machen, die aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teil bestehen sollte, wobei wir für den schriftlichen vier Stunden Zeit haben würden. Am Tag der Prüfung gingen wir also zu viert zum Büro Srivastavas, der uns die Aufgabenzettel aushändigte und meinte, wir sollten in Aula E gehen, die sei wohl frei. Er werde ab und zu vorbeischauen, wenn wir fertig seien, sollten wir die Ergebnisse einfach in sein Büro bringen.

Hätte ich die Prüfung ohne Aufschriebe und Buch schreiben müssen, wäre sie wohl ziemlich schwer gewesen, aber so waren es lauter Dinge, die wir gemacht hatten – bis auf eine Aufgabe. Doch mit Hilfe des Buches ging die auch (und ich bin ziemlich stolz auf mich, dass ich verstanden habe, was ich da gemacht habe.. ;-) ). Viel Arbeit war es auf jeden Fall: Viereinhalb Stunden und 12 beschriebene Seiten später ging es ziemlich erschlagen wieder in den fünften Stock – nur dass Srivastava gar nicht in seinem Büro war. Na gut, dachten wir uns, haben die Klausuren in sein Fach im Gang gelegt und sind erst einmal etwas essen gegangen. Danach tauchte unser Professor auch nach wenigen Minuten auf, erklärte aber, er habe jetzt keine Zeit, für die mündliche Prüfung sollen wir eine Stunde später kommen – vielleicht schaffe er ja heute noch alle vier.

Ok – eine Stunde später (in der ich QED QED hab sein lassen und E-mails gelesen habe) wurden wir von ihm empfangen. Das Schriftliche hätten wir alle ziemlich gut gemacht, mich fragte er eine Formsache, die mir aber sowieso schon aufgefallen war. Dann meinte er, ach, das mündliche könnten wir bleiben lassen, und hat uns allen 30 Punkte (von 30) gegeben! Irgendwie schon witzig – aber beschweren tu ich mich jetzt nicht… ;-)

Nächsten Dienstag mache ich meine zweite Prüfung, da werde ich dann aber wirklich mündlich ran müssen in der Atomphysik. Bin ja mal gespannt…

Todi

Ganz überraschend hat sich für mich gestern Abend ein Ausflug nach Todi ergeben. Dazu gekommen ist es folgendermaßen: Zur Zeit ist eine amerikanische Familie hier in Perugia (die Familie eines Religionsprofessors aus Kansas, der ein halbes Jahr in Italien verbringen wird, um amerikanische Studenten zu betreuen, die für ein Semester in Florenz studieren), und Freunde aus Amerika, die diese Familie kennen, haben Freunde hier gefragt, ob diese sich ein bißchen um sie kümmern könnten.

Diese Aufgabe übernahm Alessio (der Paläontologe, mit dem Karl und ich in den Bergen wahren), wohl nicht zuletzt weil er einer der wenigen Italiener ist, die gut Englisch sprechen können. Er hat also der Familie all die schönen Flecken gezeigt, die es hier in Umbrien gibt. Gestern war dann seine Heimatstadt Todi dran – und er hat mich gefragt, ob ich nicht auch Lust hätte, mitzukommen. Letztendlich waren wir sechs Nicht-Amerikaner – Alessio, Enrico und noch drei andere Freunde, die ich inzwischen kenne.

Schon die Fahrt war ziemlich lustig. Ich musste ausführen, was „die Deutschen“ so über „die Italiener“ denken – wobei sie nach beinahe allen Vorurteilen, die ich anführte, ausriefen „Stimmt!“. Nur Enrico wollte nicht bestätigen, dass italienische Männer Muttersöhnchen sind (die anderen drei Jungs im Wagen dagegen schon!) – und untrreu, da waren sich die vier einig, seien sie auch nicht. Der Punkt, in Italien gebe es viel und gut zu essen, sollte sogar noch am gleichen Abend eindrucksvoll bestätigt werden…

So ging es bei wunderschönem Wetter durch blühende Sonnenblumenfelder in die mittelalterliche Stadt mit ihren drei Mauerringen (einem etruskischen, römischen und mittelalterlichen). Dort drehten wir eine kleine Runde durch viele Gassen, die ich beim Besuch mit der Familie noch nicht gesehen hatte, bis die Rufe nach Abendessen lauter wurden. Da hatte Alessio seine eigenen Vorstellungen und so fuhren wir bald darauf über kleine Landstraßen.

Die Abendsonne tauchte die sanft geschwungenen Hügel in warmes Licht und brachte die kleinen Ortschaften an den Hängen zum Leuchten. Ich sog die Schönheit dieser Landschaft in mich auf und mich überkam ein leicht wehmütiges Gefühl angesichts des baldigen Abschieds. Alessio rief prompt: Was willst du nur zurück in Deutschland?! Hier ist es so schön!

Da mittwochs irgendwie viele Restaurants geschlossen haben, landeten wir letztendlich in einem Agriturismo, das keiner von uns kannte. Die Köche schauten schicksalsergeben drein, als wir fragten, ob sie Platz und Abendessen für elf Leute hätten – noch mehr Arbeit!

Am Tisch ging’s ziemlich lustig zu. Ich habe es total genossen, inmitten der Freunde zu sitzen, mal in Englisch, mal auf Italienisch mitzureden. Das ist das Schöne: Ich kann inzwischen den Gesprächen folgen, und nicht nur das, ich kann auch mitreden! Am Anfang meiner Zeit hier war das noch ganz undenkbar... Es gibt einem ein schönes Gefühl – man ist nicht länger von einem Teil der Gemeinschaft ausgeschlossen. Ich stellte fest, dass ich nicht der einzige Herr-der-Ringe-Fan bin, überredete die Italiener, die „Unendliche Geschichte“ zu lesen, wir diskutierten über Filme und ich erfuhr, dass die Prioren, die im Mittelalter Perugia „regierten“, während ihrer Amtszeit den Priorenpalast für ein halbes Jahr nicht verlassen durften (und ihre Frauen und Kinder nicht im Palast wohnten)… Karte gab es keine, alle in dem Essenssaal bekamen das gleiche. Und dann fing es an und sollte so schnell nicht mehr aufhören:

Antipasti – ein Teller mit Häppchen: zwei Stüclchen Pizza, eins mit Tomate, eins mit Zucchini, Pizzabrot mit selbstgemachter Salami, eine Brotscheibe mit einer Pilzpaste, ein Stück Käsefoccacia.

Primo Piatto – Tortellini mit Trüffelsoße, sehr lecker!

Nach diesen beiden Sachen war ich eigentlich satt, was sich als schwerwiegender Nachteil herausstellen sollte, denn das Schlemmen hatte eigentlich gerade erst angefangen.

So zum zwischendurch Naschen brachte man uns drei Teller voller Salami und rohem Schinken und weiteres noch warmes Pizzabrot.

Secondo Primo Piatto – ja, das gibt’s! Eine zweite erste Speise... Nudeln mit scharfer Pepperoni-Soße.

Ich platze gleich!

Richtiges Secondo Piatto – Gegrilltes Lammfleisch, Hähnchenflügel, Würste und Kalbfleisch, dazu Salat. Zum Glück wurde alles direkt am Tisch aufgefüllt und so konnte ich verhindern, dass mein Teller mit mehr als einem Stück Fleisch vollgeladen wurde…

Es gab tatsächlich noch Leute, die danach noch ein Dolce aßen. Wie viel das ganze am Ende kosten würde, daran wagte ich gar nicht zu denken… Zum Abschluss stellte uns die Bedienung noch ein Tablett mit drei verschiedenen Likören, einem Kräuterschnaps und einem Grappa auf den Tisch zur freien Bedienung.

Nach drei Stunden Essen waren wir alle ziemlich erschlagen – so machten wir uns um Mitternacht wieder auf den Weg nach Hause (und der Geldbeutel war auch nur um 20 Euro leichter geworden…).

Dienstag, 12. Juni 2007

Die letzte "Phase"

Ja, ich weiß. Eigentlich sitze ich ja hier zum Lernen. Aber heute will das einfach nicht funktionieren. Vielleicht liegt es ja daran, dass der Lernraum jetzt, wo alle Vorlesungen vorbei sind und die Prüfungszeit angebrochen ist, zum Bersten voll ist. Laut sprechen darf man hier zwar nicht, aber ein ständiges Gemurmel, immer wieder an- und abschwellend, herrscht dennoch und lässt meine Aufmerksamkeit bereitwillig von den Seiten mit kryptischen Formeln und Zeichen aufflattern, meinen Blick ruhelos durch den Raum schweifen, um sich dann mit großer Anstrengung doch wieder auf die gerade schon dreimal gelesene Formel zu heften. Aber die Geräusche sind bestimmt nicht alles, normalerweise lasse ich mich doch nicht so leicht ablenken. Vielleicht ist es eine gewisse Unsicherheit, wie ich mich am besten auf diese Prüfung vorbereiten kann, in der ich, wie mir von meinen Freunden gesagt wurde, auch die einzelnen Rechnungen können muss – mit irgend etwas muss man ja die anderthalb Stunden mündliche Befragung füllen… Vielleicht ist mein Hirn aber auch einfach nur noch erschlafft von gestern, wo ich doch tatsächlich über fünf Stunden in der Uni gelernt habe – wo ich ziemlich stolz darauf bin, denn sehr viel mehr habe ich auch in meinem Lern-Marathon vor dem Mathe-Vordiplom nicht geschafft.

Insofern habe ich also auch kein zu ausgeprägtes schlechtes Gewissen, die Arbeit heute ein wenig ruhen zu lassen und mich stattdessen um meinen verwaisten Blog zu kümmern. Der Laptop ist eigentlich nur hier, um in einer PDF zusätzlich zu meinen Aufschrieben zu lesen… Doch nachdem ich die Quantenelektrodynamik für heute endgültig aufgegeben habe, nehme ich die Möglichkeit wahr, hier sitzenbleiben zu können und das Schweifen meiner Gedanken festzuhalten und ihnen Substanz zu verleihen. Am Freitag ist meine Familie mit Karl wieder abgefahren, nach zwei wunderschönen Wochen Urlaub am Trasimener See ganz in der Nähe Perugias, die nur durch das verregnete Wetter getrübt wurden. (Ironischerweise hat es jetzt seit Freitag nicht mehr geregnet und die Sonne brennt wieder mit ihrer ganzen Kraft…)

Schon seltsam, nur wenige Kilometer von Perugia entfernt in einer vollkommen anderen Welt zu sein, mit den ganzen vertrauten Gesichtern im Urlaub und dem Gefühl, dieses italienische Leben sei nur ein Traum gewesen. Vielleicht noch seltsamer ist es, nach ihrer Abfahrt auf einmal wieder in dieses andere Leben zurückzukehren, wieder alleine und nicht zu neunt zu frühstücken, seinen Alltag wieder ganz alleine einzuteilen und zu bestimmen… Dabei ist der Alltag nicht mehr so, wie vor dem Urlaub: inzwischen haben die Vorlesungen aufgehört und ich muss mich auf die beiden Prüfungen, die ich mich entschieden habe abzulegen, vorbereiten. Und wie die Prüfungen, so naht auch das Ende meines Aufenthaltes hier: Vier Wochen sind es noch, dann kehre ich dem Süden den Rücken zu und nach Tübingen zurück. Es ist seltsam, daran zu denken. Einerseits bin ich voller Vorfreude, endlich wieder bei Karl sein zu können, ohne gleich wieder Abschied nehmen zu müssen, ich träume schon davon, über den Tübinger Markt zu schlendern und der Morgenstelle einen Besuch abzustatten. Andererseits ist es auch schade, hier wegzugehen und die neuen Freunde und eine liebgewonnene Stadt, die doch auf eine ganz eigene Art zu einer Heimat geworden ist, zu verlassen. Mit diesem Bedauern vermischt sich das dumpfe Gefühl, die Zeit hier vielleicht nicht so gut genutzt zu haben, wie ich es hätte können, die Befürchtung, Chancen verpasst zu haben – doch es ist müßig, über so etwas nachzugrübeln, denn ändern lässt sich ja sowieso nichts mehr. Und neben allem „hätte“ und „könnte“ – auch wenn manches wohl hätte anders und vielleicht auch besser laufen können – da sind so viele kleine, schöne und wertvolle Erinnerungen, die Freunde, die mir auch nachher bleiben werden (ob in Italien oder Ungarn) und ich bin einfach nur dankbar, dass ich diese Erfahrungen machen konnte! Auf jeden Fall will ich die verbleibende Zeit hier trotz des Lernens noch so gut wie möglich nutzen!

Mittwoch, 23. Mai 2007

Spello

Spello ist vielleicht eines der liebenswuerdigsten Staedtchen hier in Umbrien. Nicht weit von Assisi thront es auf einem Huegel ueber dem Tibertal, bis heute umgeben von einer schuetzenden Stadtmauer. Doch die alten roemischen Tore verwehren heute niemandem mehr den Eingang und nach dem Durchschreiten der Porta Consolare nehmen einen die vielen verwinkelten Gaesschen freundlich auf. Die alten steinernen Haeuser sind herausgeputzt und das Schoenste: alles ist voller Blumen! In allen Farben und Groessen stehen sie vor Eingaengen, saeumen Treppen, schmuecken Hauswaende. Die Gassen fuehren bergauf, bis dorthin, von wo man bei klarer Sicht bis nach Perugia sehen kann. Wir sind in Italien, und so liegen auf dem Weg dorthin eine ganze handvoll Kirchen, die so manchen Kunstschatz in ihrem inneren verbergen...

Ich bin mit der "Expertin" unterwegs: Kriszti, die leider morgen aus Perugia abreist und ihren letzten Tag aber noch fuer diesen Ausflug mit mir nutzt. Sie erklaert mir die Symbolik in den Gemaelden Pinturicchios und ich stelle fest, dass ich die schon so oft gesehenen Szenen danach mit anderen Augen anschaue. Einige Meter weiter steht neben einer weiteren Kirche ein Tor offen und neugierig, wie wir sind, trauen wir uns hinein. Der Gang fuehrt zu einem Seiteneingang der Kirche, in der bereits ein alter Moench in schwarzer Kutte, umgeben von ein paar Touristen, mit einer grossen Lampe in der Hand die duesteren Fresken aufhellt. Diesmal uebernimmt er die Erlaeuterung des Dargestellten, doch in einem schnellen Slang, den wir nur teilweise verstehen koennen...

Den naechsten Kontakt mit Einheinmischen bekommen wir in einer Gasse, wo wir den ueberwaeltigenden Duft einer weiss bluehenden Busches bewundern - ein aelterer Italiener erzaehlt uns von seinen Reiseplaenen, erst nach Paris, dann nach Spanien, denn in Paris habe er vierzig Jahre gearbeitet - da, schaut her, ich habe an meinem Auto sogar noch ein franzoesisches Nummernschild! Ja, und in Stuttgart war er auch schon oft und in Essen lebt ein Verwandter. Aber jetzt geht es nach Paris, da ist seine Tochter. Wenn ihr da runter geht, kommt ein roemisches Tor - ach, und habt ihr schon die Fresken gesehen? Na dann noch einen schoenen Tag...

Ein Eis rundet diesen schoenen Sommertag ab, und gluecklich machen wir uns auf den Heimweg nach Perugia.

Montag, 7. Mai 2007

Fiera Antiquaria

Gestern war ich schon wieder in Arezzo, um den beworbenen Antiquitätenmarkt zu besuchen, der am ersten Wochenende jeden Monats stattfindet. Laut den Prospekten der Stadt sind es 500 Stände, die über das ganze historische Zentrum verteilt sind. Arezzo ist der Markt an diesem Tag... Während in der Nähe des Bahnhofs noch gewöhnliche Flohmarktgegenstände vorherrschen, ist das Herz der Stadt bestimmt von wahren Antiquitätenansammlungen... Aber lassen wir die Bilder sprechen!









Mittwoch, 2. Mai 2007

1. Mai

Nachdem ich für heute, dem Tag der Arbeit, eigentlich überhaupt nichts geplant hatte, stand ich heute morgens in der Erwartung eines ereignislosen, ruhigen Tages auf. Das Mittagessen verbringe ich noch im Park, aber eine dunkle Wolke droht, außerdem bläst ein kalter Wind. Also verschiebe ich mein Schreibevorhaben in ein Café. Auf dem Corso Vanucci herrscht einmal wieder das pralle Leben, die vielen Tische in der Mitte unter Sonnenschirmen sind gut besetzt, die Luft ist von Akkordeonmusik erfüllt. Da kann ich nicht wiederstehen: Ich setze mich mitten in das Treiben und schreibe ein wenig an meinem Brief. Leider macht die Wolke bald ihre Drohung wahr – es beginnt zu regnen. Doch ich habe ein Schild entdeckt, dass für die in diesen Tagen stattfindende Käsepräsentation in der Rocca Paolina wirbt.

Für alle, die noch nicht in Perugia waren: Die Rocca Paolina ist die ehemalige Festung der Stadt, die jedoch einem Palast weichen musste. Erhalten blieben die ausladenden Gewölbe, durch die ein Tourist, der heute nach Perugia kommt und sein Auto auf dem Hauptparkplatz abstellt, die Stadt betritt. Rolltreppen erleichtern den Aufstieg – doch neben dem Hauptgang zur Stadt gibt es noch Nebenräume, durch Gänge miteinander verbunden.

In dieser beeindruckenden Kulisse hatten nun Landwirte aus der Umgebung ihre Kostbarkeiten auf Tischen ausgebreitet – neben dem dominierenden Käse auch noch Salami aller Art, Marmelade, Honig, Wein, Trüffel, Pasta, und Dolce.

Schon beim Betreten des Gewölbes mischt sich in den ansonsten vorherrschenden Geruch nach Rolltreppenmechanik das herbe Aroma des Pecorina, der in allen Reifestadien und mit alen erdenkbaren Zusätzen angeboten wird. Ich streife an den Ständen vorbei, bekomme hier einen Löffel Haselnuss-Honig-Creme, dort ein Stückchen Brot mit Trüffelsalami gereicht…

Schon seit einiger Zeit sind mir die Plakate für eine Ausstellung alter Fotos von Perugia ins Auge gefallen. Heute ist eine gute Gelegenheit, dort einmal hinzugehen. Der Palast, in der sie stattfindet, ist ganz in der Nöhe der Rocca Paolina. Es ist spannend zu sehen, wie sich manches verändert hat (vor allem, durch die Bebauung damals noch landwirtschaftlich genutzter Flächen – die Bilder sind aus der Zeit der Jahrhundertwende) - aber doch im Gegensatz zu so vielen deutschen Städten, viele Dinge heute noch genauso aussehen – mit Ausnahme der Kleidung der Menschen! Außerdem merke ich, dass ich mich inzwischen doch recht gut hier auskenne – ich erkenne eigentlich jeden Ort wieder.

Auf dem Heimweg mache ich Rast auf der – wie immer vollen – Treppe der Kathedrale am Hauptplatz. Vor mir ist eine Bühne aufgebaut, wo erste Tonproben gemacht werden – offenbar soll hier heute noch ein Konzert stattfinden. Ich bemerke eine Gruppe junger Leute auf der Treppe, die ziemlich international zu sein scheinen: Ein Schwarzer unterhält sich angeregt mit einer Asiatin und einer (allem Anschein nach) Deutschen. Aber die Gruppe ist noch viel größer, und es werden immer wieder Neuankömmlinge begrüßt. Ich bin mir beinahe hundertprozentig sicher, dass das Erasmus-Studenten sein müssen. Also fasse ich mir ein Herz und mache etwas für mich sehr untypisches: Ich spreche sie an. Die eine ist wirklich Deutsche, die anderen ein wildes Gemisch aus Algeriern, einer Griechin, einer Ungarin, einer Indonesierin, und noch anderen. Sie sind so, wie ich mir „typische“ Erasmus-Studenten vorstelle. Schwer, das richtig zu beschreiben, was ich damit meine. Vielleicht so: Eine für mich oberflächlich scheinende extensive Demonstration der gegenseitigen Freundschaft? Wie auch immer, die Deutsche versichert mir, dass sie später auch noch da sein werden und ich bin auf jeden Fall neugierig, was für ein Konzert es dort geben wird. Also mache ich mich nach einer kurzen Erholungspause und Abendessen daheim wieder auf den Weg. Es spielt eine Band, die leicht volkstümliche, italienische Popmusik macht, mit Gitarre, Schlagzeug, Akkordeon und Sänger. Nichts, was ich mir daheim anhören würde, aber eine Musik, die einen irgendwie animiert, herumzuhüpfen und zu tanzen – was auch eine Menge Leute vor der Bühne tun. Dort stoße ich wieder auf die mittlerweile noch größer gewordene Erasmus-Gruppe. Es wird sehr lustig, ich lasse einfach ganz los und hüpfe und tanze mit den anderen, die ich seit einer Stunde kenne herum und habe Spaß! Das ist auch wieder das schöne daran – ich gehöre einfach dazu, ohne weitere Umstände und ab und zu tausche ich mit jemandem Namen, Nationalität und Studienfach aus…

Bis mir irgendwann die Füße zu sehr weh tun und ich dann doch beschließe, dass die inzwischen gewechselte Band nicht wirklich mein Geschmack ist. Die Leute wiederzutreffen ist kein Problem: Sie meinen, dass sie so ziemlich jeden Abend auf der Treppe sind. Ich weiß nicht, inwiefern ich diese Kontakte weiter ausbauen werde, denn es scheinen schon eher Partymenschen zu sein, mit denen ich prinzipiell weniger anfangen kann. Aber für den Abend hat es sich auf jeden Fall gelohnt, und falls ich einmal einsam bin oder nicht weiß, was tun – zum Brunnen und der Treppe ist’s nicht weit…

Judit und Kriszti

Zwei Wochen ist es her, als sich mein Bekanntenkreis hier in Perugia unverhofft um zwei Nicht-Italienerinnen erweitert hat. Es gibt hier eine Organisation, die sich „eGeneration“ nennt und sich derer annimmt, die neu in der Stadt sind. Dass sie neben ihrer Internetseite auch ein Büro besitzen, in dem man sich in einen E-mail-Verteiler eintragen kann, über den dann Informationen zu Veranstaltungen verschickt werden, habe ich erst vor kurzem herausgefunden (mit tatkräftiger Unterstützung des Internet-Karle *g*).

Als ich dann dorthin ging, traf ich im Büro auf zwei andere Erasmus-Studentinnen, die gerade vom netten Italiener erklärt bekamen, wo man in Perugia die beste Pizza essen kann. Die beiden, Judit und Kriszti, kommen aus Ungarn, genauer: aus Budapest. Nach dem Bürobesuch verbrachten wir noch ein Weilchen im Park und stellten dabei fest, dass wir uns ganz gut verstehen. Wohlgemerkt unterhalten wir uns auf Italienisch miteinander! Die beiden sprechen ziemlich gut: Kriszti hat seit vier Jahren einen italienischen Freund, Judit nach ihrem Abitur ein Jahr in Neapel verbracht. Ich kann von ihnen also noch was lernen… Beide studieren Kunstgeschichte und man merkt ihnen an, dass ihre Begeisterung für Kunst über das bloße Studium hinausgeht! In Budapest machen sie auch Führungen im Museum.

Für mich ist diese neue Bekanntschaft ein ziemliches Glück, denn jetzt habe ich endlich Freunde hier, bei denen die Wellenlänge stimmt und mit denen ich auch mal öfters etwas außerhalb der Universität unternehmen kann! So bin ich am Donnerstag in den Genuß der ungarischen Küche gekommen (die NICHT, wie Karl mich gewarnt hatte, zu scharf war), wir waren beim Pizzaessen und schließlich am Freitag in Arezzo.

Ich wollte vor allem dorthin, weil ich diese Stadt noch nie gesehen aber schon mehrmals gehört habe, wie schön sie sei. Judit und Kriszti hatten noch eine größere Motivation: In der Stadt ist im Moment eine Ausstellung über Piero della Francesca, von dem sich außerdem berühmte Fresken (Die Legende vom Heiligen Kreuz) in einer Kirche befinden. Es ist schon etwas anderes, wenn man mit zwei kunsthistorisch gebildeten und vor allem begeisterten Leuten so eine Ausstellung besucht, die einem zu vielen Bildern interessante Details erzählen können, die mir alleine niemals aufgefallen wären!

Auch die Stadt Arezzo hat mir ziemlich gefallen, schöne Geschäftchen in den Gassen, ein großer Platz der mir von „Das Leben ist schön“ wage bekannt war (der Film wurde zu großen Teilen in Arezzo gedreht), ein Park mitten in der Altstadt...

Jetzt muss ich doch noch kurz etwas anmerken, denn darauf bin ich schon irgendwie stolz: Ich merke, dass ich durch Judit und Kriszti mehr italienisch spreche und so habe ich am Donnerstag zum ersten Mal auf Italienisch geträumt!!! (der Karl hat mir außerdem bestätigt, dass ich schon viel mehr mit den Händen herumfuchtele - also langsam werde ich wirklich zum Italiener...)

Sonntag, 29. April 2007

Das Fest der Befreiung

ist der italienische Nationalfeiertag am 25. April - an diesem Datum wurde Italien von den Faschisten befreit.

Auf dem leergefegten Uniparkplatz trudeln nach und nach die Studenten ein, von denen ich die meisten zumindest dem Sehen nach, andere sogar mit Namen kenne – alles Naturwissenschaftler. Es sind etwa dreißig Personen, die Enrico, Laura und Co für einen Ausflug in die Toskana zusammengetrommelt haben. Während der dreiviertel Stunde, in der auf verspätete Ausflügler gewartet wird, vertreibe ich mir die Zeit und quatsche ein bisschen mit Alessio, dem Paläontologen, mit dem wir in den Bergen waren. Er erzählt, dass er gerade den Film „Das Leben der anderen“ gesehen hat – nach der Synchronisation läuft dieser gerade in italienischen Kinos. Benedetta, die er davon überzeugen will, den Film anzuschauen, ist skeptisch und meint (irgendwie vergessend, dass ich gerade neben ihr stehe) „Kann was Gutes aus Deutschland kommen?!“ Ich habe den Satz erst gar nicht mitbekommen, aber ein hilfsbereiter Alessio wiederholt ihn gerne nochmal für mich, worauf ihm eine hochrote Benedetta für heute den Krieg erklärt…
Schließlich sind alle da, verteilen sich auf die Privat-PKWs und die Fahrt geht unter einer Sonne los, die einen weiteren strahlenden Sommertag verspricht.

Das Ziel des Ausflugs heißt San Galgano, einer ehemaligen Klostereinlage inmitten von sanft hügeliger Natur, benannt nach einem heilig gesprochenen Ritter. Der Ort besteht aus zwei Teilen: auf einem Hügel liegt eine relativ kleine Kirche, die sehr bald zu klein für die wachsende Klostergemeinschaft wurde, weshalb am Fuße des Hügels eine größere Abtei errichtet wurde. Letizia (eine Chemikerin, die meistens in der Mensa dabei ist) hat sich über die Geschichte von San Galgano erkundigt und gibt uns eine sachkundige Führung.

Die Legende berichtet vom Ritter Galgano, der im 12. Jahrhundert lebte. Es war die Zeit, in der die Städte um Macht und Einfluß rangen und unser Ritter stritt dabei kräftig mit, seine Rolle als Kämpfer erfüllend. Eines Nachts erschien ihm der Erzengel Michael im Traum und befahl ihm, von seinem Kriegshandwerk abzulassen. Doch ein Ritter fürchtet weder Tod noch Teufel, und was hat ein Traum schon zu bedeuten! Noch einmal erscheint ihm im Schlaf der Erzengel, führt ihn an den Hügel und sagt Galgano, er solle dort ein Kloster gründen.
Wieder zeigt sich der Ritter unbeeindruckt. Der Himmel muß also eine überzeugendere Geste ersinnen. Wieder erscheint der Erzengel Michael, doch diesmal nicht im Traum. Nein, er erscheint am hellichten Tage vor Galgano just in dem Moment, als dieser ein edles Fräulein freien will! Von Einsicht und Glauben übermannt läßt Galgano alles stehen und liegen (samt seiner armen Braut) und begibt sich sofort zu dem Hügel, der er ihm im Schlaf gezeigt wurde. Voll inneren Aufruhrs packt er sein Schwert und rammt es in den Felsen. Und das Wunder geschieht: In einer Spiegelung der Artus-Sage fährt das Schwert in den Stein, als sei er Butter – doch steckt seither fest, als sei es mit ihm verwachsen.

So ist aus dem Schwert das Symbol des Kreuzes geworden, vor dem Galgano den Rest seines Lebens im Gebet das Knie beugen wird. Wo es ein Wunder gibt, da gibt es natürlich auch Zweifler. Einer von ihnen ergriff das Heft des Schwertes, um es aus dem Fels zu ziehen – vergeblich. Stattdessen überkam ihn die Strafe für seinen Argwohn: Die Hände, mit denen er seine frevlerische Tat begangen hatte, wurden von einem Wolf abgebissen und sind heute noch als grausiges Warnung aller Ungläubigen in der Kirche zu sehen. Das runde Gotteshaus ist rings um das Schwert im Fels errichtet worden, das sich genau in der Mitte unter der rot-weiß gestreiften Marmor-Backstein-Kuppeldecke befindet. Der nächste König Artus wird es schwer haben: Das Schwert wird von einer Glashaube geschützt…

Vom Hügel hinab steigt man in wenigen Minuten zur großen Kirche, die heute ihres Daches beraubt ist aber – vielleicht gerade deshalb – ziemlich beeindruckend ist.

Von der Klosteranlage exisieren nur noch zwei Räume und ein paar Säulen des Kreuzganges. Trotz seines Sinneswandels zum Heiligen hat der ehemalige Ritter Galgano doch seine Nachfolger: Plötzlich wird das dachlose Monument erstürmt von einer Horde kleiner Italiener mit Wappen (rotes Kreuz auf schwarzem Grund) und Schwert in der Hand! Wir können gerade noch entkommen und flüchten uns auf die Wiese hinter der Kirche. Nach dem Schreck brauchen wir eine Stärkung, die von ein paar Chemikern organisiert wurde: Nudeln mit Pesto, Risotto, Torta (soll heißen Blätterteig mit Schinken und Würstchen) und – was niemals fehlen darf – Dolce!

Der Nachmittag wird dem Spielen gewidmet: Die Volleyballrunde wächst beständig, bis Enrico die Zeit für etwas anderes ankündigt: Bulldozer. Das ist ein Spiel, das genauso rabiat klingt, wie es ist. Wir haben früher in der Grundschule manchmal „Wer hat Angst vor’m schwarzen Mann“ gespielt, bei dem der „schwarze Mann“ so viele Leute wie möglich abklatschen muss, die versuchen, ans andere Ende des Spielfeldes zu kommen. Wer abgeklatscht wird, wechselt in die Gruppe des „schwarzen Mannes“. Bulldozer funktioniert eigentlich genau so – mit dem Unterschied, dass die Leute nicht abgeklatscht, sondern vom Boden hochgehoben werden müssen…

Friedlicher geht es mit Liedersingen weiter (wir haben eine Gitarre dabei), womit der erfüllte Tag dann auch ausklingt.

Samstag, 21. April 2007

SOMMER in Perugia

Als kleine Antwort auf Schollis Frühlingspost im Tübingen Times Blog:
Hier sind die Temperaturen mittlerweile wirklich sommerlich (Deutschland-sommerlich, ich habe mir sagen lassen, dass es hier im August ZIEMLICH heiß wird...) und auf dem kleinen Rasenplatz vor meinem Unigebäude fangen die Rosensträucher an zu blühen...



Und auch die Bäume sind mittlerweile alle grün geworden...





Samstag ist Markttag!

Wie schon die vorhergegangenen beginnt auch dieser Tag mit strahlend blauem Himmel und lautem Vogelgezwitscher. Jedoch während ich unter der Woche das Wetter hauptsächlich auf dem Weg zu und von der Uni oder in der Mittagspause genießen konnte, ist heute Samstag: frei! Richtig frei sogar, dadurch, dass meine Freunde alle auf irgendeine Art beschäftigt sind. Was also tun, um diesen herrlichen Tag so richtig zu nutzen?

Meine Antwort: Mercato di Pian di Massiano. Das ist der Wochenmarkt Perugias, der jedoch (wohl aufgrund von Platzmangel) nicht in der Innenstadt abgehalten wird, sondern auf einem großen Platz etwas außerhalb, dem Stadion gegenüber - weshalb ich bis jetzt auch noch nicht dort war.

Ein rappelvoller Bus bringt mich zur Piazza Umbria Jazz, wo sich Autos und Menschen drängen. Die Beschreibung, die ich vorher in einem Heftchen gelesen hatte, trifft den Markt recht gut: Ein Supermarkt im Freien. Nur, ein Supermarkt, in dem man so ziemlich ALLES bekommt! Erstaunlicherweise sind die Lebensmittelläden in der Minderheit, dominiert von Imbißständen mit Porchetta (Spanferkel) und anderen Spezereien. Dafür gibt es umso mehr Kleiderstände mit überquellenden „Wühltischen“, die eifrig von Italienerinnen jeden Alters durchforstet werden.

Daneben Schuh- und Taschenstände, Haushaltsartikel (Töpfe, Bestecke, Espressomaschinen, …), Bücher und - wohl für die Männer der Frauen an den Wühltischen – einen Werkzeugstand.

Dazwischen auf einmal aufgeregtes Gezwitscher: Ein Zoostand mit Vögeln, Fischen und Kaninchen. In einem Mini-Käfig mauzt eine kleine Katze, die ich vor Mitleid beinahe gekauft hätte… Einen Farbkleks stellen die Blumenstände dar, die ihre Pflanzen auf dem Boden ausgebreitet haben.

Und dann, neben einem Stand mit getrockneten Früchten und Nüssen: Käfige mit Hühnern, Gänsen und Perlhühnern, die laut vor sich hin gackern. Um eine Kiste steht eine Gruppe Italiener mit einem Kind, das gebannt in deren Inneres schaut. Einen Moment später verstehe ich warum: Der Verkäufer greift hinein, steckt zwei hilflos zappelnde gelbe Küken in eine Plastiktüte, ein Geldschein wechselt den Besitzer und die Gruppe zieht um zwei Lebewesen erweitert davon.

Irgendwie habe ich mich in meiner Tierliebe doch zurückhalten und als ich gegen Mittag den Markt verlasse, befinden sich in meinen Tüten weder Katze noch Küken noch Kaninchen…

Mein Mittagessen verbringe ich in meinem Lieblingspark oberhalb des Unigebäudes, wo ich meine anschließenden Versuche zu lernen schnell aufgebe und mich doch lieber meinem Buch widme...

Freitag, 13. April 2007

Ein Sonntag in den Bergen

Wie wir es noch am Abend mit Alessio ausgemacht haben (der faszinierenderweise nur etwa zwanzig Schritte von mir entfernt wohnt), treffen wir uns am nächsten Morgen gerüstet für einen Tag im Gestein. Alessios Mitstreiter lassen nicht lange auf sich warten. Der eine, Andrea, ist noch Student, der gerade seine „Tesi“ schreibt (zu gut Deutsch „Bachelorarbeit“); Marco mit seinen langsam ergrauenden Haaren ist schon etwas älter und arbeitet freiberuflich. Auf geht’s im Auto in Richtung Berge. Nach einer kurzen Einführung in die Geologie Umbriens – während der Alessios Englischkenntnisse von den anderen beiden mit bewundernden Kommentaren gewürdigt werden – geht es in einem Kauderwelsch auf Italienisch, Deutsch und Englisch weiter, wobei abwechselnd Alessio und ich die Übersetzung der italienischen Teile für Karl übernehmen.

Endlich verlassen wir die dicht besiedelte und von Industrie geprägte Valle Umbra und schlängeln uns langsam hinter Foligno in die Berge hinein. In der Nähe eines kleinen Ortes erspähen wir eine Einsiedelei, die sich wie ein Vogelnest an die steile Felswand klammert.

Wir haben uns schon öfters einmal über die Einstellung der Italiener zum Essen unterhalten – und heute werde ich einmal mehr darin bestärkt, dass diese eine andere ist, als bei uns. Wir wollen noch Sandwiches für die Mittagspause besorgen – bei deutschen Studenten (Ausnahmen bestätigen die Regel *g*) würde das bedeuten, dass man wohl noch bei McDoof, Subways oder einer sonstigen Kette vorbeischaut – oder vielleicht ein lieblos geschmiertes Brötchen aus der Bäckerei befreit. Nicht so hier.
Wir halten vor einem Geschäft, dessen Schild „prodotti tipici“ die umbrische Feinkost anpreist, die hinter der Ladentheke zu finden ist: Hausgemachte Salami neben appetitlich aussehenden Schinken und Mortadella, eingelegte Spezereien wie Auberginen, Tomaten und Oliven und eine vor Pecorinos aller Variationen überquellende Käsetheke. Die freundliche Frau dahinter scheint die Jungs schon von den vorhergegangenen Tagen zu kennen: Sie plaudert ein wenig und freut sich, wie diese über ihre Salamibrötchen mit Pecorino schwärmen. Dann bereitet sie liebevoll und in aller Ruhe unsere Vesperbrote: eines mit der eben angepriesenen Kombination und das andere mit einer dicken Scheibe der ebenfalls hausgemachten Porchetta. Der Rest des Ladens besteht aus anderen Spezialitäten: Steinpilz- und Trüffelpasta, Weine und Liköre. Wir sind fünf Schritte vom Laden entfernt, als Alessio aprupt kehrt macht und in den Laden zurückgeht: Das wichtigste für unser Mittagessen fehlt noch – die nach getaner Arbeit wohlverdiente Flasche Montepulciano-Rotwein. Dieser Wein hat dieses Jahr immerhin die Auszeichnung, der beste der Welt zu sein, gewonnen – und außerdem, so unsere Begleiter, gilt das Sprichwort: Wer keinen Wein trinkt, hat auch Wasser nicht verdient!
Noch im Auto loben unsere drei Geologen den Spezialitätenladen: Das Preis-Leistungsverhältnis sei ausgezeichnet und die Salami wirklich ein Traum…

Überhaupt scheinen in Italien die Menschen sehr viel mehr über das Essen zu reden. Wie Karl und ich in Florenz auf Einlass in die Grabkapelle der Medici warteten, diskutierte ein älterer Herr mit dem Aufpasser am Museumseingang über die perfekte Zubereitung seiner Lieblingspasta, begleitet von entsprechenden Gesten und dem wohlbekannten Ausruf „Buonissimo!“
Als ich einmal in die Runde fragte, ob man denn in Italien jeden Tag mit Antipasto, Primo und Secondo essen würde, war die Antwort „Nein, nicht immer. Eigentlich nur bei besonderen Anlässen. Aber – wenn du bei der Mama wohnst, dann schon!“ Was mir vor kurzem Margherita noch einmal bestätigte und meinte, ihre Mama würde niemals nur Pasta machen.

Aber zurück ins voll bepackte Auto, zu den vier Geologen und der einen verirrten Physikerin, das sich langsam aber sicher weiter in die einsame und ärmliche Bergwelt Umbriens begibt. Die Dörfer werden immer kleiner, die Häuser schäbiger. Auch der Frühling hat sich hier noch nicht so weit hervorgetraut wie im Tal. Die waldige Hügellandschaft erinnert an die Schwäbische Alb.

Und schließlich, mitten im Nichts, ruft Marco "Da ist es!", und wir halten am Straßenrand, an deren einer Seite ein Aufschluss mit weißem geschichtetem Kalk liegt, der mit roten Markierungen und Numerierungen verschönert wurde. Unsere drei Freunde müssen den ganzen Aufschluss mit seinen Schichtabfolgen kartieren und Proben von den einzelnen Schichten
nehmen. Dabei handelt es sich um Kalkabfolgen aus dem Jura (etwa gleiche Entstehunungszeit wie die der Schwäbischen Alb). Die Abfolgen entstanden aus den Überresten von Mikroorganismen eines großen Riffs, die nach ihrem Tod in die Tiefe absanken. Leider gibt es hier am mit bloßem Auge nicht viel zu entdecken, da sich die drei Paläontologen vor allem mit Mikrofossilien beschäftigen. Mit Hammer, Block und Bleistift bewaffnet machen sie sich an die Arbeit.

Währenddessen versuche ich gemeinsam mit Karl die kurze Einführung in die Geologie Umbriens aus Marcos Geologieführer (nennt man das so?) zu übersetzen und verstehen, was sich als recht mühsam herausstellt.

Das herbeigesehnte Mittagessen verbringen wir auf einer grünen sonnenüberfluteten Wiese, unterhalten durch wilde Geschichten über italienische Geologieprofessoren (unter anderem einen auf seinem Gebiet durchaus führenden Paläontologen, der jedoch eher selbst seinen Ammoniten ähnelt, die seine liebsten Gesprächspartner sind… ). Die Versperbrote erweisen sich wirklich als überaus wohlschmeckend…

Als auch der letzte Schluck Wein im genießenden Gaumen verschwunden ist, löst sich die lustige Runde auf, um weiterzuarbeiten oder – Karl und ich – die Gegend zu erkunden. Hinter einem Dorf, das aus einer handvoll tristen Häusern besteht und bis auf eine Horde laut kläffender Hunde absolut verlassen erscheint, entdecken wir einen weiteren Ort, der am Berg klebend über dem Tal thront.

Natürlich müssen wir dort hinauflaufen, auch wenn dunkle Wolken drohen, ihren Kampf mit der Sonne aufzunehmen, die sich bereits hinter ein paar Schleierwolken vor ihnen versteckt. Kurz vor dem Zeil entladen sie ihren Inhalt und es beginnt zu regnen. Kurz vor dem Zeil können wir natürlich nicht aufgeben, und schließlich sind wir nicht aus Zucker! Ob die ausgestorben wirkende, heruntergekommene Gasse, die uns schließlich empfängt, diese Mühe wirklich gelohnt hat, bleibt fraglich. Ebenso, ob sich in diesem Ort außer uns lebende Wesen aufhalten.

Doch die Antwort werden wir nie erfahren… Wir machen uns auf den feuchten Abstieg. Kurz unterhalb des Dorfes doch noch andere Wesen: ein knorriges altes Männchen nuschelt uns unverständlich einige freundliche Worte zu, worauf wir mit ebenso freundlichem Nicken antworten. Ein stolzer Hahn macht empört Platz für uns, gefolgt von seinem bewundernden Harem. Auf halber Höhe dann ein bekanntes Auto: Die drei Geologen hatten sich schon auf die Suche nach uns begeben, um zu verhindern, dass wir nass werden. Eine Frau hat ihnen schließlich den Tipp gegeben, dass wir den Berg hinaufgelaufen sind…

Wir fahren mit dem Auto heimwärts, hindurch zwischen steilen Bergflanken und einsamen Dörfchen. Alessio hatte uns auf der Hinfahrt gefragt, ob wir nicht Lust hätten, nach getaner Arbeit abends noch zu einem anderen geologischen Aufschluss zu fahren, wo man auch große Fossilien finden kann. Dieser Vorschlag erweist sich aber als nicht praktikabel (man muss sich anseilen, um dorthin zu gelangen), also bekommen wir ein Alternativprogramm angeboten. Eine Burg, die an unserem Weg liegt fahren wir an, wobei die Grundmauern die man von der Straße aus gesehen hatte so ziemlich das einzige war, das noch steht. Im Burghof ist heute ein Friedhof. Nach einem kurzen Spaziergang wendet Alessio das Auto auf der schmalen Straße unter der Burg wieder und wir fahren weiter.

Aber wie es aussieht haben die drei Geologen noch immer das Befürfnis, uns etwas zu bieten, wo doch die Burg von Nahem betrachtet gar nicht so beeindruckend war. Also entscheiden sie kurzerhand, dass wir nicht eher nach Perugia zurückfahren können, bevor wir nicht den Gipfel des Monte Subasio gesehen hatten, der auch geologisch interessant ist. Nichts leichter als das: Wir fahren von der Autobahn ab, an Assisi vorbei und am Eremitum (das wir noch tags zuvor im Schweiße unseres Angesichts erkrakselten), Serpentine um Serpentine in immer größere Höhen und mit immer schlechterem Straßenbelag. Schließlich haben wir den Gipfel (laut Wikipedia: 1290 Meter) erreicht. Der ist nur von einem gräulichen Gras bewachsen und als wir aussteigen, schlägt uns ein eisiger Wind entgegen und an die ersten ziemlich kalten Tage in Perugia erinnert.

Eingemummelt in unsere Jacken laufen wir los, einen noch schneebedeckten steilen Hang in die Höhe. Plötzlich blicken wir in einen sicher 20 Meter tiefen Krater, der fast wie eine Vulkancaldera aussieht. In Wahrheit besteht der Monte Subasio aber aus dem gleichen Kalkstein, den die Geologen zuvor bearbeiteten und der (in roter und weißer Färbung) auch viele Kirchen der Region aufbaut. An dieser Stelle hat Regenwasser begonnen, den säureanfälligen Kalkstein aufzulösen und den Berg mehr und mehr ausgehölt. Laut Alessio tritt das Phänomen häufiger im Balkan auf und ist in Mittel-Süd-Europa eher selten.
Nach einem Gruppenfoto beenden wir unseren Spaziergang schnell (es ist hundekalt!) und kuscheln uns bald wieder in Alessios kleinen Fiat, um die Heimreise anzutreten, mit dem guten Gefühl, ein sehr erfahrungsreiches Wochenende gehabt zu haben.


Donnerstag, 5. April 2007

Eroberung Assisis und nachfolgender Siegesschmaus

Wenn man seinen Blog so lange vernachlässigt, sammeln sich die Erlebnisse und Eindrücke so sehr, dass man gar nicht weiß, wo anfangen. Um erst einmal einen Überblick zu verschaffen:
Ich habe jetzt seit zwei Wochen Besuch vom Karl, der an einem sehr sonnigen Samstagmittag mit dem Zug hier angekommen ist. Um uns gleich die nötige Privatsphäre zu verschaffen, ist meine Mitbewohnerin kurzerhand bis nach Ostern nach Hause gefahren, und so können Karl und ich Alltägliches wie auch weniger Alltägliches zusammen genießen.

Das etwas nasskalte Wetter in Perugia hielt uns dann vorletztes Wochenende nicht davon ab, einen Dreitages-Tripp nach Florenz zu machen, wovon wir in Kürze noch berichten werden.

Jetzt aber erst einmal zu den Bildern und Eindrücken, die noch ganz frisch vor unseren geistigen Augen umherschwirren und kaum Zeit hatten, sich zu ordnen oder gar zu setzen. Das Wochenende begann schon am Freitag mit einem Wetterbericht: (Endlich!) Sonne und Temperaturen über 10 Grad waren angesagt. Wir ließen uns das nicht zweimal vorhersagen und brachen am Samstag in der Frühe auf in Richtung Assisi, der Stadt des Heiligen Franziskus am Fuße des Monte Subasio, die nur 20 Zugminuten von Perugia entfernt liegt.

Der Fuß des Monte Subasio ist allerdings noch nicht gleichzusetzen mit dem Ort des Bahnhofes Assisi, von dem aus man die beeindruckenden Klosteranlagen und die über allem thronende Burg, die durch den Frühnebel hinter einem weißen Schleier in Pastelfarben leuchten, in einiger Entfernung bewundern kann. Wofür man auch genügend Zeit hat, denn der Bus, der die Reisenden schnell an ihr frommes Ziel bringen kann, wartet nicht. Um keine kostbare halbe Stunde dieses wundervollen Tages durch das Warten auf den nächsten zu vergeuden, schreiten wir – so viel gebührlicher – durch saftig grüne Felder und frühlingshaftes Vogelgezwitscher auf die langsam näherrückende Kulisse aus Mauern, Dächern und Glockentürmen zu.

Vielleicht verschreckt von der warmen Sonne haben sich noch nicht viele Touristen in Assisi eingefunden. Vielleicht sehen wir beim Durchqueren des Stadttores aber auch so wenige Menschen, da wir uns durch kleinere Nebengässchen in Richtung Stadtzentrum schlängeln – und dabei wohlweislich die Basilika der heiligen Franziskus links liegen lassen. Stattdessen treten wir auf den Vorplatz Kirche San Pietro, vor der ein Mönch in brauner Kutte mit weißer Kordel auf einer Bank die warme Frühlingssonne genießt und dabei vollkommen die ruhige Ausstrahlung seiner Kirche verkörpert.

Direkt nach der Kirche laufen wir vorbei an gar schauderhaft geschmückten Häusen mit großen metallenen fackenhaltenden Drachen, die in seltsamem Kontrast stehen zu einem Heiligenportrait in nächster Nähe. Doch spätestens an der Piazza del Commune verfliegt der Zauber und die Gegenwart holt uns wieder ein, denn hier treffen wir auf die vermissten (?) Touristengruppen.

Nach einem kurzen Blick in den Dom San Rufino machen wir uns auf den Weg, dem Gewusel der Stadt zu entfliehen und hinter den Toren den Ort zu finden, der vielleicht noch ein wenig die Botschaft des Heiligen Franziskus erhalten hat: Eremo delle Carceri.

Im Schweiße unseres Angesichts bezwingen wir den steilen Weg, der sich am Monte Subasio in die Höhe schlängelt und den nur wenige Menschen zu Fuß nehmen. Nach einer willkommenden Stärkung vor den Toren des Eremitums betreten wir diesen heiligen Ort: Ein Schild weist alle paar Meter auf diese Tatsache hin - vollkommen unnötig.

In eine dicht bewaldete Einbuchtung des Bergs ist eine winzige Klosteranlage gezwängt worden, von der man zwar einen phänomenalen Blick ins Tal hat, von außen aber kaum zu entdecken ist. Nur ab und zu unterbricht der Flügelschlag der weißen Tauben die Stille.

Aber den ganzen Tag können wir hier nicht verweilen: Es liegt noch eine wichtige Aufgabe vor uns. Ein strammer Marsch führt uns bis an die Mauern der trutzigen Rocca Maggiore, die es einzunehmen gilt! Die Täler, die sich in alle Richtungen erstrecken, mit wachsamen Schießscharten überwachend, thront sie oberhalb von Assisi.

Der Zutritt über die metallende Zugbrücke verschaffen wir uns noch mit einem kleinen Bestechungsgeld: Schon stehen wir im Herzen der dreietagigen Feste, aus der ein etwas höherer Turm herausragt. Doch gerade aus diesem Teil nähern sich die britischen und italienischen Wachen: Mit Kameras bewaffnet und angsteinjagenden Uniformen stürmen sie aufs Letzte entschlossen auf uns zu. Gerade noch rechtzeitig flüchten wir uns in einen schmalen, düsteren, scheinbar endlosen Gang, breit genug für schmale Krieger. Unsere hallenden Schritte führen uns bis an eine steile Wendeltreppe, die wir eilig erklimmen.

Unsere Verfolger scheinen wir abgehängt zu haben und als wir die Spitze des polygonalen Turmes erreichen und vorsichtig über die Zinnen spähen, erblicken wir nur sorglose Burginsassen, die nichts von unserem Eindringen bemerkt haben.

Erst jetzt erkennen wir die geniale Idee des Architekten, gerade an dieser Stelle eine Burg mit hohem Spähturm zu errichten: Uns zu Füßen liegen die Dächer und Glockentürme von Assisi. Dahinter erstreckt sich ein weites Tal, an dessen Rand wir Perugia erahnen. Auf der anderen Seite dagegen blickt man auf Olivenhaine und unberührte Wälder, die sich an einem Einschnitt des Monte Subasio erstrecken.

Die Gunst der Stunde nutzend, beginnen wir das Paket zu öffnen, das wir während unserer Flucht die ganze Zeit eng bei uns getragen hatten und für das wir uns jeder Wache im Kampfe gestellt hätten. Schnell ersetzen wir das Banner der Feinde auf der Turmspitze durch unser eigenes. Nun weht über dem Tal das weiße Phi auf strahlend blauem Grund.

Nach erfüllter Mission machen wir müden Krieger uns auf den Heimweg. Doch noch ist der Tag lange nicht zu Ende!

Der kurze Zwischenstop in der Wohnung reicht gerade einmal zum Kontaktlinsen gegen Brille eintauschen und frische Kleidung überwerfen, dann geht es weiter zu unserer Abendverabredung: Giropizza mit Italienern!

Was, ihr wisst nicht, was das ist?! Dann höret und staunet wie wir frohlockten! Wie groß diese Veranstaltung werden würde, hätte ich nicht gedacht. Ich wusste nur von einigen Freunden, Laura, Margherita, Andrea und Enrico, dass sie kommen würden und „noch ein paar Freunde“. Am Treffpunkt warteten so circa 20 Personen, von denen ich den Großteil noch nicht kannte. Nachdem die letzten eingetrudelt waren, verteilten wir uns auf Autos und machten uns auf den Weg in irgendeine kleine Stadt irgendwo im Nichts in der Nähe (endlich wieder!) einer Burg. Bei meiner Müdigkeit schwankte ich zwischen Neugierde und Reue – Reue vor allem deswegen, weil mein Bett in (zumindest durch eigene Kraft) unerreichbare Ferne gerückt war und ich keine Ahnung hatte, wie lange heute Nacht die Pizza rotieren würde!

Laura hatte für uns eine lange Tafel in einem beheizten Zelt-Restaurant bestellt, das bereits für uns (wie in der Mensa!) mit Plastiktellern gedeckt war. Giropizza ist die italienische Version von „all you can eat“ – eben mit Pizza. Was aber nicht bedeutet, dass man sich eine ganze Pizza nach der anderen bestellen muss. Vielmehr reicht der Kellner eine in Stücke geschnittene Pizza nach der anderen herum, die deutlich schneller verschwunden ist, als der Nachschub geliefert wird. Dabei „rotiert“ der Belag der Pizza mit der Zeit.

Wie fast überall in Italien gehört mindestens eine Vorspeise mit dazu. Auf die Frage „Antipasti oder Pommes“ manifestiert sich eine deutliche Mehrheit für letzteres, unser erstes kulinarisches Aha-Erlebnis an diesem Abend. Einige Funghi, Quattro Formaggi und Vegitariane später dann das zweite: Zum Nachtisch gibt es Pizza Nutella! Was wir uns erstmal gar nicht vorstellen können – uns aber von allen Seiten mit „molto buono“ wärmstens empfohlen wird – mundet dann sogar uns.

Während des Essens gerät Alessio, ein Bekannter von Laura, völlig aus dem Häuschen, als er erfährt, dass Karl Geologie studiert. Er selbst arbeitet als Paläontologe an der Uni in Perugia und lädt uns nach nur zwei Sätzen der Konversation ein, am nächsten Tag zu einem Geländetag in den Jurakalk mitzufahren (mehr davon demnächst).

Als schließlich auch das letzte Stück Nutellapizza vertilgt ist, wird die Gitarre und ein Buch italienischer Volkslieder ausgepackt und losgelegt. Das Singen und der Spaß, den alle dabei hatten, sind unbeschreiblich – und obwohl wir nicht viel (Karl gar nichts) der Texte verstanden haben, so war alles mit so viel körperlichen Gesten begleitet, dass wir doch alles mitbekommen haben. Ein strahlender Enrico, der sich vor die „Hauptsänger“ Laura und Andrea auf einen Stuhl stellt und mit wilder Gestikulation alle zwanzig Studenten samt einem eigentlich unbeteiligten Nebentisch dazu bringt, an den passenden Stellen des Liedes aufzustehen, zu klatschen, zu pfeifen oder sonstige Geräusche von sich zu geben, um danach selbst eine Ballade „molto tragica“ vorzutragen; traurig schöne Gesänge eines Seemannes, der von den Sternen träumt – das alles wird uns wohl noch lange im Gedächtnis bleiben!

Freitag, 16. März 2007

Alltag

So, nicht erschrecken, das hier ist ein ziemlicher Monsterbericht - aber ich habe den Blog die letzten Tage ja auch vernachlässigt ;-)


Jetzt habe ich schon beinahe zwei Wochen Uni und so langsam schleift sich eine Art Alltagsleben ein. Wobei ich hier das Wort Alltag nicht negativ meine. Es ist eher so, dass ich es langsam nicht mehr unvorstellbar finde, die nächsten vier Monate hier zu verbringen.

Inzwischen finden auch alle Vorlesungen wie vorgesehen statt und ich kann langsam einschätzen, welcher Professor „bravo“ ist und welcher doch eher nicht so… Und ich kenne mittlerweile so ziemlich den ganzen Physikjahrgang – was bei 15 Leuten auch nicht so schwer ist und außerdem daran liegt, dass ich mich nicht an die Einteilung des hiesigen Physikstudiums halte…

Dabei gibt es verschiedene Grüppchen von Leuten. Mit einer war ich schon im Kino (leider in einem unsäglich schlechten Film): den Leuten aus meinen Theorie-Vorlesungen. Ansonsten habe ich den größten Kontakt mit einer ganzen Gruppe an Personen um Laura (von der ich schon geschrieben habe) und Margherita (einer anderen Physikerin, Freundin von Laura). Diese Gruppe setzt sich zur Hälfte aus Physikern und zur anderen aus Chemikern zusammen, was zu regelmäßigen Diskussionen nach dem Mittagessen führt, in welchem der beiden Gebäuden der caffè getrunken wird. Da hierbei meistens keine Einigung erzielt werden kann, führt der Kompromiss auf „neutralen Boden“ ins Mathematikgebäude. (Das praktischerweise in der Mitte zwischen Physik und Chemie liegt) Mittagessen geht diese „Gruppe“ doch meist in die Mensa, wobei ich letzte Woche bei stundenlangem Sodbrennen sehr schmerzhaft feststellen musste, dass diese sich wohl doch nicht so sehr von der tübinger unterscheidet und ich dort besser nur noch die Wurst- oder Käseplatten mit Salat essen sollte…

Wer nicht darin interessiert ist, etwas über die Struktur des Physikstudiums in Perugia zu erfahren, kann folgenden Absatz ohne größere persönliche Verluste überspringen. In Italien hat man inzwischen größtenteils das Bachelor-/Mastersystem eingeführt – mit dem Unterschied, dass niemand eine Ahnung hat, was ein „Bachelor“ sein soll. Hier heißt das ganze „Laurea Triennale“ und „Laurea Specialistica“, aber man bekommt auch „Crediti“ und ist eigentlich sein ganzes Studium über beschäftigt, einen Haufen Prüfungen abzulegen. Dabei habe ich das Gefühl, dass die „Laurea Specialistica“ nicht so breit gefächert ist, wie das Diplom bei uns: Jeder muss ein „Indirizzo“ festlegen – den Teilbereich der Physik, mit dem er sich die nächsten zwei Jahre beschäftigen wird. Dabei gibt es drei Möglichkeiten: Theoretische Physik, Elementarteilchenphysik und Struktur der Materie (also Festkörperphysik, Physik der Materie, usw.), und wenn zwei Leute verschiedene Indirizzi machen, kann es sein, dass sie
keine einzige Vorlesung mehr zusammen hören.

Ohne es vorher geplant zu haben, höre ich hier hauptsächlich theoretische Vorlesungen – hauptsächlich aus dem Grund, dass eine Vorlesung, die ich hören wollte, gestrichen wurde (wegen fehlenden Studenten) und eine andere sich mit welchen, die ich auf jeden Fall hören wollte, überschnitten haben. Allerdings bin ich mir im Moment noch nicht ganz sicher, ob ich vielleicht nicht doch noch eine Vorlesung streichen und dafür in dieser Zeit meinen „Grundwortschatz Italienisch“ durcharbeiten sollte…
Zwei meiner Vorlesungen, die Fisica Teorica und Meccanica Statistica sind bei der Professorin, die ich in meinem letzten Blogbericht schon erwähnt habe. Eine theoretische Physikerin, die mit Vorliebe im Minirock ihre Vorlesung hält und mitunter so schnell spricht, dass selbst die italienischen Studenten zu mir gesagt haben, dass sie ihnen zu schnell spricht! Das macht es leider nicht besonders leicht, ihrer Vorlesung zu folgen, da sie darüber hinaus nicht besonders viel an die Tafel schreibt, etwas konfus ist und auch nicht besonders gut erklärt. Da sind dann vier Stunden die Woche etwas viel (zumal die eine Vorlesung am Montag zur unmenschlichen Zeit von fünf bis sieben ist) – und ich spiele mit dem Gedanken, zumindest eine davon fallen zu lassen. Dagegen entwickelt sich die Elettrodinamica Quantistica im Moment zu meiner Lieblingsvorlesung, was vielleicht neben der Tatsache, dass wir gerade die Dirac-Gleichung zur kovarianten Formulierung der Quantenmechanik machen (was zumindest ich ziemlich spannend finde), vielleicht vor allem daran liegt, dass der Professor Inder ist und ein für mich sehr gut verständliches Italienisch spricht.

Letzte Woche war ein „Incontro“ – eine „Begegnung“ zwischen einem Professor der Physik und einem der Philosophie. Also eine Art Studium Generale Vortrag nur mit zwei Professoren, die nacheinander über das Thema menschlicher Verstand gesprochen haben. In der Hinsicht unterscheiden sich Italien und Deutschland überhaupt nicht voneinander: Dem Physiker konnte ich mühelos folgen, während mir beim Vortrag des Philosophen relativ schnell der Faden und die Konzentration verloren gingen…


Diese Woche zeigt sich Perugia wettermäßig gesehen von seiner besten Seite: Sonne und strahlend blauer Himmel, der einen versucht zu verführen, die Mittagspause auf ein Schlümmerchen im Freien auszudehnen… Gestern habe ich jedoch meinen unifreien Mittag genutzt, um noch ein paar Ecken dieser Stadt zu erkunden, die ich noch nicht kannte. Dabei streunte ich eher ziellos in eine Richtung, bis ich schließlich im Viertel „Monteluce“ landete, von wo aus man das Stadtzentrum einmal von der anderen Seite sehen kann. Ansonsten sind dort hauptsächlich Wohnhäuser, aber in den so typischen engen und hohen Gassen, die einfach zum Herumlaufen einladen. Auf dem Weg von dort in die Innenstadt entdeckte ich durch Zufall noch die Jugendherberge, die sich doch mitten in der Stadt befindet (ist nur auf keiner Karte eingezeichnet). Also falls mich noch mehr Leute besuchen kommen wollen, als ich in meinem Zimmer unterbekomme… ;-)