Freitag, 13. April 2007

Ein Sonntag in den Bergen

Wie wir es noch am Abend mit Alessio ausgemacht haben (der faszinierenderweise nur etwa zwanzig Schritte von mir entfernt wohnt), treffen wir uns am nächsten Morgen gerüstet für einen Tag im Gestein. Alessios Mitstreiter lassen nicht lange auf sich warten. Der eine, Andrea, ist noch Student, der gerade seine „Tesi“ schreibt (zu gut Deutsch „Bachelorarbeit“); Marco mit seinen langsam ergrauenden Haaren ist schon etwas älter und arbeitet freiberuflich. Auf geht’s im Auto in Richtung Berge. Nach einer kurzen Einführung in die Geologie Umbriens – während der Alessios Englischkenntnisse von den anderen beiden mit bewundernden Kommentaren gewürdigt werden – geht es in einem Kauderwelsch auf Italienisch, Deutsch und Englisch weiter, wobei abwechselnd Alessio und ich die Übersetzung der italienischen Teile für Karl übernehmen.

Endlich verlassen wir die dicht besiedelte und von Industrie geprägte Valle Umbra und schlängeln uns langsam hinter Foligno in die Berge hinein. In der Nähe eines kleinen Ortes erspähen wir eine Einsiedelei, die sich wie ein Vogelnest an die steile Felswand klammert.

Wir haben uns schon öfters einmal über die Einstellung der Italiener zum Essen unterhalten – und heute werde ich einmal mehr darin bestärkt, dass diese eine andere ist, als bei uns. Wir wollen noch Sandwiches für die Mittagspause besorgen – bei deutschen Studenten (Ausnahmen bestätigen die Regel *g*) würde das bedeuten, dass man wohl noch bei McDoof, Subways oder einer sonstigen Kette vorbeischaut – oder vielleicht ein lieblos geschmiertes Brötchen aus der Bäckerei befreit. Nicht so hier.
Wir halten vor einem Geschäft, dessen Schild „prodotti tipici“ die umbrische Feinkost anpreist, die hinter der Ladentheke zu finden ist: Hausgemachte Salami neben appetitlich aussehenden Schinken und Mortadella, eingelegte Spezereien wie Auberginen, Tomaten und Oliven und eine vor Pecorinos aller Variationen überquellende Käsetheke. Die freundliche Frau dahinter scheint die Jungs schon von den vorhergegangenen Tagen zu kennen: Sie plaudert ein wenig und freut sich, wie diese über ihre Salamibrötchen mit Pecorino schwärmen. Dann bereitet sie liebevoll und in aller Ruhe unsere Vesperbrote: eines mit der eben angepriesenen Kombination und das andere mit einer dicken Scheibe der ebenfalls hausgemachten Porchetta. Der Rest des Ladens besteht aus anderen Spezialitäten: Steinpilz- und Trüffelpasta, Weine und Liköre. Wir sind fünf Schritte vom Laden entfernt, als Alessio aprupt kehrt macht und in den Laden zurückgeht: Das wichtigste für unser Mittagessen fehlt noch – die nach getaner Arbeit wohlverdiente Flasche Montepulciano-Rotwein. Dieser Wein hat dieses Jahr immerhin die Auszeichnung, der beste der Welt zu sein, gewonnen – und außerdem, so unsere Begleiter, gilt das Sprichwort: Wer keinen Wein trinkt, hat auch Wasser nicht verdient!
Noch im Auto loben unsere drei Geologen den Spezialitätenladen: Das Preis-Leistungsverhältnis sei ausgezeichnet und die Salami wirklich ein Traum…

Überhaupt scheinen in Italien die Menschen sehr viel mehr über das Essen zu reden. Wie Karl und ich in Florenz auf Einlass in die Grabkapelle der Medici warteten, diskutierte ein älterer Herr mit dem Aufpasser am Museumseingang über die perfekte Zubereitung seiner Lieblingspasta, begleitet von entsprechenden Gesten und dem wohlbekannten Ausruf „Buonissimo!“
Als ich einmal in die Runde fragte, ob man denn in Italien jeden Tag mit Antipasto, Primo und Secondo essen würde, war die Antwort „Nein, nicht immer. Eigentlich nur bei besonderen Anlässen. Aber – wenn du bei der Mama wohnst, dann schon!“ Was mir vor kurzem Margherita noch einmal bestätigte und meinte, ihre Mama würde niemals nur Pasta machen.

Aber zurück ins voll bepackte Auto, zu den vier Geologen und der einen verirrten Physikerin, das sich langsam aber sicher weiter in die einsame und ärmliche Bergwelt Umbriens begibt. Die Dörfer werden immer kleiner, die Häuser schäbiger. Auch der Frühling hat sich hier noch nicht so weit hervorgetraut wie im Tal. Die waldige Hügellandschaft erinnert an die Schwäbische Alb.

Und schließlich, mitten im Nichts, ruft Marco "Da ist es!", und wir halten am Straßenrand, an deren einer Seite ein Aufschluss mit weißem geschichtetem Kalk liegt, der mit roten Markierungen und Numerierungen verschönert wurde. Unsere drei Freunde müssen den ganzen Aufschluss mit seinen Schichtabfolgen kartieren und Proben von den einzelnen Schichten
nehmen. Dabei handelt es sich um Kalkabfolgen aus dem Jura (etwa gleiche Entstehunungszeit wie die der Schwäbischen Alb). Die Abfolgen entstanden aus den Überresten von Mikroorganismen eines großen Riffs, die nach ihrem Tod in die Tiefe absanken. Leider gibt es hier am mit bloßem Auge nicht viel zu entdecken, da sich die drei Paläontologen vor allem mit Mikrofossilien beschäftigen. Mit Hammer, Block und Bleistift bewaffnet machen sie sich an die Arbeit.

Währenddessen versuche ich gemeinsam mit Karl die kurze Einführung in die Geologie Umbriens aus Marcos Geologieführer (nennt man das so?) zu übersetzen und verstehen, was sich als recht mühsam herausstellt.

Das herbeigesehnte Mittagessen verbringen wir auf einer grünen sonnenüberfluteten Wiese, unterhalten durch wilde Geschichten über italienische Geologieprofessoren (unter anderem einen auf seinem Gebiet durchaus führenden Paläontologen, der jedoch eher selbst seinen Ammoniten ähnelt, die seine liebsten Gesprächspartner sind… ). Die Versperbrote erweisen sich wirklich als überaus wohlschmeckend…

Als auch der letzte Schluck Wein im genießenden Gaumen verschwunden ist, löst sich die lustige Runde auf, um weiterzuarbeiten oder – Karl und ich – die Gegend zu erkunden. Hinter einem Dorf, das aus einer handvoll tristen Häusern besteht und bis auf eine Horde laut kläffender Hunde absolut verlassen erscheint, entdecken wir einen weiteren Ort, der am Berg klebend über dem Tal thront.

Natürlich müssen wir dort hinauflaufen, auch wenn dunkle Wolken drohen, ihren Kampf mit der Sonne aufzunehmen, die sich bereits hinter ein paar Schleierwolken vor ihnen versteckt. Kurz vor dem Zeil entladen sie ihren Inhalt und es beginnt zu regnen. Kurz vor dem Zeil können wir natürlich nicht aufgeben, und schließlich sind wir nicht aus Zucker! Ob die ausgestorben wirkende, heruntergekommene Gasse, die uns schließlich empfängt, diese Mühe wirklich gelohnt hat, bleibt fraglich. Ebenso, ob sich in diesem Ort außer uns lebende Wesen aufhalten.

Doch die Antwort werden wir nie erfahren… Wir machen uns auf den feuchten Abstieg. Kurz unterhalb des Dorfes doch noch andere Wesen: ein knorriges altes Männchen nuschelt uns unverständlich einige freundliche Worte zu, worauf wir mit ebenso freundlichem Nicken antworten. Ein stolzer Hahn macht empört Platz für uns, gefolgt von seinem bewundernden Harem. Auf halber Höhe dann ein bekanntes Auto: Die drei Geologen hatten sich schon auf die Suche nach uns begeben, um zu verhindern, dass wir nass werden. Eine Frau hat ihnen schließlich den Tipp gegeben, dass wir den Berg hinaufgelaufen sind…

Wir fahren mit dem Auto heimwärts, hindurch zwischen steilen Bergflanken und einsamen Dörfchen. Alessio hatte uns auf der Hinfahrt gefragt, ob wir nicht Lust hätten, nach getaner Arbeit abends noch zu einem anderen geologischen Aufschluss zu fahren, wo man auch große Fossilien finden kann. Dieser Vorschlag erweist sich aber als nicht praktikabel (man muss sich anseilen, um dorthin zu gelangen), also bekommen wir ein Alternativprogramm angeboten. Eine Burg, die an unserem Weg liegt fahren wir an, wobei die Grundmauern die man von der Straße aus gesehen hatte so ziemlich das einzige war, das noch steht. Im Burghof ist heute ein Friedhof. Nach einem kurzen Spaziergang wendet Alessio das Auto auf der schmalen Straße unter der Burg wieder und wir fahren weiter.

Aber wie es aussieht haben die drei Geologen noch immer das Befürfnis, uns etwas zu bieten, wo doch die Burg von Nahem betrachtet gar nicht so beeindruckend war. Also entscheiden sie kurzerhand, dass wir nicht eher nach Perugia zurückfahren können, bevor wir nicht den Gipfel des Monte Subasio gesehen hatten, der auch geologisch interessant ist. Nichts leichter als das: Wir fahren von der Autobahn ab, an Assisi vorbei und am Eremitum (das wir noch tags zuvor im Schweiße unseres Angesichts erkrakselten), Serpentine um Serpentine in immer größere Höhen und mit immer schlechterem Straßenbelag. Schließlich haben wir den Gipfel (laut Wikipedia: 1290 Meter) erreicht. Der ist nur von einem gräulichen Gras bewachsen und als wir aussteigen, schlägt uns ein eisiger Wind entgegen und an die ersten ziemlich kalten Tage in Perugia erinnert.

Eingemummelt in unsere Jacken laufen wir los, einen noch schneebedeckten steilen Hang in die Höhe. Plötzlich blicken wir in einen sicher 20 Meter tiefen Krater, der fast wie eine Vulkancaldera aussieht. In Wahrheit besteht der Monte Subasio aber aus dem gleichen Kalkstein, den die Geologen zuvor bearbeiteten und der (in roter und weißer Färbung) auch viele Kirchen der Region aufbaut. An dieser Stelle hat Regenwasser begonnen, den säureanfälligen Kalkstein aufzulösen und den Berg mehr und mehr ausgehölt. Laut Alessio tritt das Phänomen häufiger im Balkan auf und ist in Mittel-Süd-Europa eher selten.
Nach einem Gruppenfoto beenden wir unseren Spaziergang schnell (es ist hundekalt!) und kuscheln uns bald wieder in Alessios kleinen Fiat, um die Heimreise anzutreten, mit dem guten Gefühl, ein sehr erfahrungsreiches Wochenende gehabt zu haben.


1 Kommentar:

Hannah hat gesagt…

Also, ich kann die hausgemachte Salami und den leckeren Kaese direkt schon riechen *seufz*... :)