Donnerstag, 5. April 2007

Eroberung Assisis und nachfolgender Siegesschmaus

Wenn man seinen Blog so lange vernachlässigt, sammeln sich die Erlebnisse und Eindrücke so sehr, dass man gar nicht weiß, wo anfangen. Um erst einmal einen Überblick zu verschaffen:
Ich habe jetzt seit zwei Wochen Besuch vom Karl, der an einem sehr sonnigen Samstagmittag mit dem Zug hier angekommen ist. Um uns gleich die nötige Privatsphäre zu verschaffen, ist meine Mitbewohnerin kurzerhand bis nach Ostern nach Hause gefahren, und so können Karl und ich Alltägliches wie auch weniger Alltägliches zusammen genießen.

Das etwas nasskalte Wetter in Perugia hielt uns dann vorletztes Wochenende nicht davon ab, einen Dreitages-Tripp nach Florenz zu machen, wovon wir in Kürze noch berichten werden.

Jetzt aber erst einmal zu den Bildern und Eindrücken, die noch ganz frisch vor unseren geistigen Augen umherschwirren und kaum Zeit hatten, sich zu ordnen oder gar zu setzen. Das Wochenende begann schon am Freitag mit einem Wetterbericht: (Endlich!) Sonne und Temperaturen über 10 Grad waren angesagt. Wir ließen uns das nicht zweimal vorhersagen und brachen am Samstag in der Frühe auf in Richtung Assisi, der Stadt des Heiligen Franziskus am Fuße des Monte Subasio, die nur 20 Zugminuten von Perugia entfernt liegt.

Der Fuß des Monte Subasio ist allerdings noch nicht gleichzusetzen mit dem Ort des Bahnhofes Assisi, von dem aus man die beeindruckenden Klosteranlagen und die über allem thronende Burg, die durch den Frühnebel hinter einem weißen Schleier in Pastelfarben leuchten, in einiger Entfernung bewundern kann. Wofür man auch genügend Zeit hat, denn der Bus, der die Reisenden schnell an ihr frommes Ziel bringen kann, wartet nicht. Um keine kostbare halbe Stunde dieses wundervollen Tages durch das Warten auf den nächsten zu vergeuden, schreiten wir – so viel gebührlicher – durch saftig grüne Felder und frühlingshaftes Vogelgezwitscher auf die langsam näherrückende Kulisse aus Mauern, Dächern und Glockentürmen zu.

Vielleicht verschreckt von der warmen Sonne haben sich noch nicht viele Touristen in Assisi eingefunden. Vielleicht sehen wir beim Durchqueren des Stadttores aber auch so wenige Menschen, da wir uns durch kleinere Nebengässchen in Richtung Stadtzentrum schlängeln – und dabei wohlweislich die Basilika der heiligen Franziskus links liegen lassen. Stattdessen treten wir auf den Vorplatz Kirche San Pietro, vor der ein Mönch in brauner Kutte mit weißer Kordel auf einer Bank die warme Frühlingssonne genießt und dabei vollkommen die ruhige Ausstrahlung seiner Kirche verkörpert.

Direkt nach der Kirche laufen wir vorbei an gar schauderhaft geschmückten Häusen mit großen metallenen fackenhaltenden Drachen, die in seltsamem Kontrast stehen zu einem Heiligenportrait in nächster Nähe. Doch spätestens an der Piazza del Commune verfliegt der Zauber und die Gegenwart holt uns wieder ein, denn hier treffen wir auf die vermissten (?) Touristengruppen.

Nach einem kurzen Blick in den Dom San Rufino machen wir uns auf den Weg, dem Gewusel der Stadt zu entfliehen und hinter den Toren den Ort zu finden, der vielleicht noch ein wenig die Botschaft des Heiligen Franziskus erhalten hat: Eremo delle Carceri.

Im Schweiße unseres Angesichts bezwingen wir den steilen Weg, der sich am Monte Subasio in die Höhe schlängelt und den nur wenige Menschen zu Fuß nehmen. Nach einer willkommenden Stärkung vor den Toren des Eremitums betreten wir diesen heiligen Ort: Ein Schild weist alle paar Meter auf diese Tatsache hin - vollkommen unnötig.

In eine dicht bewaldete Einbuchtung des Bergs ist eine winzige Klosteranlage gezwängt worden, von der man zwar einen phänomenalen Blick ins Tal hat, von außen aber kaum zu entdecken ist. Nur ab und zu unterbricht der Flügelschlag der weißen Tauben die Stille.

Aber den ganzen Tag können wir hier nicht verweilen: Es liegt noch eine wichtige Aufgabe vor uns. Ein strammer Marsch führt uns bis an die Mauern der trutzigen Rocca Maggiore, die es einzunehmen gilt! Die Täler, die sich in alle Richtungen erstrecken, mit wachsamen Schießscharten überwachend, thront sie oberhalb von Assisi.

Der Zutritt über die metallende Zugbrücke verschaffen wir uns noch mit einem kleinen Bestechungsgeld: Schon stehen wir im Herzen der dreietagigen Feste, aus der ein etwas höherer Turm herausragt. Doch gerade aus diesem Teil nähern sich die britischen und italienischen Wachen: Mit Kameras bewaffnet und angsteinjagenden Uniformen stürmen sie aufs Letzte entschlossen auf uns zu. Gerade noch rechtzeitig flüchten wir uns in einen schmalen, düsteren, scheinbar endlosen Gang, breit genug für schmale Krieger. Unsere hallenden Schritte führen uns bis an eine steile Wendeltreppe, die wir eilig erklimmen.

Unsere Verfolger scheinen wir abgehängt zu haben und als wir die Spitze des polygonalen Turmes erreichen und vorsichtig über die Zinnen spähen, erblicken wir nur sorglose Burginsassen, die nichts von unserem Eindringen bemerkt haben.

Erst jetzt erkennen wir die geniale Idee des Architekten, gerade an dieser Stelle eine Burg mit hohem Spähturm zu errichten: Uns zu Füßen liegen die Dächer und Glockentürme von Assisi. Dahinter erstreckt sich ein weites Tal, an dessen Rand wir Perugia erahnen. Auf der anderen Seite dagegen blickt man auf Olivenhaine und unberührte Wälder, die sich an einem Einschnitt des Monte Subasio erstrecken.

Die Gunst der Stunde nutzend, beginnen wir das Paket zu öffnen, das wir während unserer Flucht die ganze Zeit eng bei uns getragen hatten und für das wir uns jeder Wache im Kampfe gestellt hätten. Schnell ersetzen wir das Banner der Feinde auf der Turmspitze durch unser eigenes. Nun weht über dem Tal das weiße Phi auf strahlend blauem Grund.

Nach erfüllter Mission machen wir müden Krieger uns auf den Heimweg. Doch noch ist der Tag lange nicht zu Ende!

Der kurze Zwischenstop in der Wohnung reicht gerade einmal zum Kontaktlinsen gegen Brille eintauschen und frische Kleidung überwerfen, dann geht es weiter zu unserer Abendverabredung: Giropizza mit Italienern!

Was, ihr wisst nicht, was das ist?! Dann höret und staunet wie wir frohlockten! Wie groß diese Veranstaltung werden würde, hätte ich nicht gedacht. Ich wusste nur von einigen Freunden, Laura, Margherita, Andrea und Enrico, dass sie kommen würden und „noch ein paar Freunde“. Am Treffpunkt warteten so circa 20 Personen, von denen ich den Großteil noch nicht kannte. Nachdem die letzten eingetrudelt waren, verteilten wir uns auf Autos und machten uns auf den Weg in irgendeine kleine Stadt irgendwo im Nichts in der Nähe (endlich wieder!) einer Burg. Bei meiner Müdigkeit schwankte ich zwischen Neugierde und Reue – Reue vor allem deswegen, weil mein Bett in (zumindest durch eigene Kraft) unerreichbare Ferne gerückt war und ich keine Ahnung hatte, wie lange heute Nacht die Pizza rotieren würde!

Laura hatte für uns eine lange Tafel in einem beheizten Zelt-Restaurant bestellt, das bereits für uns (wie in der Mensa!) mit Plastiktellern gedeckt war. Giropizza ist die italienische Version von „all you can eat“ – eben mit Pizza. Was aber nicht bedeutet, dass man sich eine ganze Pizza nach der anderen bestellen muss. Vielmehr reicht der Kellner eine in Stücke geschnittene Pizza nach der anderen herum, die deutlich schneller verschwunden ist, als der Nachschub geliefert wird. Dabei „rotiert“ der Belag der Pizza mit der Zeit.

Wie fast überall in Italien gehört mindestens eine Vorspeise mit dazu. Auf die Frage „Antipasti oder Pommes“ manifestiert sich eine deutliche Mehrheit für letzteres, unser erstes kulinarisches Aha-Erlebnis an diesem Abend. Einige Funghi, Quattro Formaggi und Vegitariane später dann das zweite: Zum Nachtisch gibt es Pizza Nutella! Was wir uns erstmal gar nicht vorstellen können – uns aber von allen Seiten mit „molto buono“ wärmstens empfohlen wird – mundet dann sogar uns.

Während des Essens gerät Alessio, ein Bekannter von Laura, völlig aus dem Häuschen, als er erfährt, dass Karl Geologie studiert. Er selbst arbeitet als Paläontologe an der Uni in Perugia und lädt uns nach nur zwei Sätzen der Konversation ein, am nächsten Tag zu einem Geländetag in den Jurakalk mitzufahren (mehr davon demnächst).

Als schließlich auch das letzte Stück Nutellapizza vertilgt ist, wird die Gitarre und ein Buch italienischer Volkslieder ausgepackt und losgelegt. Das Singen und der Spaß, den alle dabei hatten, sind unbeschreiblich – und obwohl wir nicht viel (Karl gar nichts) der Texte verstanden haben, so war alles mit so viel körperlichen Gesten begleitet, dass wir doch alles mitbekommen haben. Ein strahlender Enrico, der sich vor die „Hauptsänger“ Laura und Andrea auf einen Stuhl stellt und mit wilder Gestikulation alle zwanzig Studenten samt einem eigentlich unbeteiligten Nebentisch dazu bringt, an den passenden Stellen des Liedes aufzustehen, zu klatschen, zu pfeifen oder sonstige Geräusche von sich zu geben, um danach selbst eine Ballade „molto tragica“ vorzutragen; traurig schöne Gesänge eines Seemannes, der von den Sternen träumt – das alles wird uns wohl noch lange im Gedächtnis bleiben!

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