Sonntag, 29. April 2007

Das Fest der Befreiung

ist der italienische Nationalfeiertag am 25. April - an diesem Datum wurde Italien von den Faschisten befreit.

Auf dem leergefegten Uniparkplatz trudeln nach und nach die Studenten ein, von denen ich die meisten zumindest dem Sehen nach, andere sogar mit Namen kenne – alles Naturwissenschaftler. Es sind etwa dreißig Personen, die Enrico, Laura und Co für einen Ausflug in die Toskana zusammengetrommelt haben. Während der dreiviertel Stunde, in der auf verspätete Ausflügler gewartet wird, vertreibe ich mir die Zeit und quatsche ein bisschen mit Alessio, dem Paläontologen, mit dem wir in den Bergen waren. Er erzählt, dass er gerade den Film „Das Leben der anderen“ gesehen hat – nach der Synchronisation läuft dieser gerade in italienischen Kinos. Benedetta, die er davon überzeugen will, den Film anzuschauen, ist skeptisch und meint (irgendwie vergessend, dass ich gerade neben ihr stehe) „Kann was Gutes aus Deutschland kommen?!“ Ich habe den Satz erst gar nicht mitbekommen, aber ein hilfsbereiter Alessio wiederholt ihn gerne nochmal für mich, worauf ihm eine hochrote Benedetta für heute den Krieg erklärt…
Schließlich sind alle da, verteilen sich auf die Privat-PKWs und die Fahrt geht unter einer Sonne los, die einen weiteren strahlenden Sommertag verspricht.

Das Ziel des Ausflugs heißt San Galgano, einer ehemaligen Klostereinlage inmitten von sanft hügeliger Natur, benannt nach einem heilig gesprochenen Ritter. Der Ort besteht aus zwei Teilen: auf einem Hügel liegt eine relativ kleine Kirche, die sehr bald zu klein für die wachsende Klostergemeinschaft wurde, weshalb am Fuße des Hügels eine größere Abtei errichtet wurde. Letizia (eine Chemikerin, die meistens in der Mensa dabei ist) hat sich über die Geschichte von San Galgano erkundigt und gibt uns eine sachkundige Führung.

Die Legende berichtet vom Ritter Galgano, der im 12. Jahrhundert lebte. Es war die Zeit, in der die Städte um Macht und Einfluß rangen und unser Ritter stritt dabei kräftig mit, seine Rolle als Kämpfer erfüllend. Eines Nachts erschien ihm der Erzengel Michael im Traum und befahl ihm, von seinem Kriegshandwerk abzulassen. Doch ein Ritter fürchtet weder Tod noch Teufel, und was hat ein Traum schon zu bedeuten! Noch einmal erscheint ihm im Schlaf der Erzengel, führt ihn an den Hügel und sagt Galgano, er solle dort ein Kloster gründen.
Wieder zeigt sich der Ritter unbeeindruckt. Der Himmel muß also eine überzeugendere Geste ersinnen. Wieder erscheint der Erzengel Michael, doch diesmal nicht im Traum. Nein, er erscheint am hellichten Tage vor Galgano just in dem Moment, als dieser ein edles Fräulein freien will! Von Einsicht und Glauben übermannt läßt Galgano alles stehen und liegen (samt seiner armen Braut) und begibt sich sofort zu dem Hügel, der er ihm im Schlaf gezeigt wurde. Voll inneren Aufruhrs packt er sein Schwert und rammt es in den Felsen. Und das Wunder geschieht: In einer Spiegelung der Artus-Sage fährt das Schwert in den Stein, als sei er Butter – doch steckt seither fest, als sei es mit ihm verwachsen.

So ist aus dem Schwert das Symbol des Kreuzes geworden, vor dem Galgano den Rest seines Lebens im Gebet das Knie beugen wird. Wo es ein Wunder gibt, da gibt es natürlich auch Zweifler. Einer von ihnen ergriff das Heft des Schwertes, um es aus dem Fels zu ziehen – vergeblich. Stattdessen überkam ihn die Strafe für seinen Argwohn: Die Hände, mit denen er seine frevlerische Tat begangen hatte, wurden von einem Wolf abgebissen und sind heute noch als grausiges Warnung aller Ungläubigen in der Kirche zu sehen. Das runde Gotteshaus ist rings um das Schwert im Fels errichtet worden, das sich genau in der Mitte unter der rot-weiß gestreiften Marmor-Backstein-Kuppeldecke befindet. Der nächste König Artus wird es schwer haben: Das Schwert wird von einer Glashaube geschützt…

Vom Hügel hinab steigt man in wenigen Minuten zur großen Kirche, die heute ihres Daches beraubt ist aber – vielleicht gerade deshalb – ziemlich beeindruckend ist.

Von der Klosteranlage exisieren nur noch zwei Räume und ein paar Säulen des Kreuzganges. Trotz seines Sinneswandels zum Heiligen hat der ehemalige Ritter Galgano doch seine Nachfolger: Plötzlich wird das dachlose Monument erstürmt von einer Horde kleiner Italiener mit Wappen (rotes Kreuz auf schwarzem Grund) und Schwert in der Hand! Wir können gerade noch entkommen und flüchten uns auf die Wiese hinter der Kirche. Nach dem Schreck brauchen wir eine Stärkung, die von ein paar Chemikern organisiert wurde: Nudeln mit Pesto, Risotto, Torta (soll heißen Blätterteig mit Schinken und Würstchen) und – was niemals fehlen darf – Dolce!

Der Nachmittag wird dem Spielen gewidmet: Die Volleyballrunde wächst beständig, bis Enrico die Zeit für etwas anderes ankündigt: Bulldozer. Das ist ein Spiel, das genauso rabiat klingt, wie es ist. Wir haben früher in der Grundschule manchmal „Wer hat Angst vor’m schwarzen Mann“ gespielt, bei dem der „schwarze Mann“ so viele Leute wie möglich abklatschen muss, die versuchen, ans andere Ende des Spielfeldes zu kommen. Wer abgeklatscht wird, wechselt in die Gruppe des „schwarzen Mannes“. Bulldozer funktioniert eigentlich genau so – mit dem Unterschied, dass die Leute nicht abgeklatscht, sondern vom Boden hochgehoben werden müssen…

Friedlicher geht es mit Liedersingen weiter (wir haben eine Gitarre dabei), womit der erfüllte Tag dann auch ausklingt.

Samstag, 21. April 2007

SOMMER in Perugia

Als kleine Antwort auf Schollis Frühlingspost im Tübingen Times Blog:
Hier sind die Temperaturen mittlerweile wirklich sommerlich (Deutschland-sommerlich, ich habe mir sagen lassen, dass es hier im August ZIEMLICH heiß wird...) und auf dem kleinen Rasenplatz vor meinem Unigebäude fangen die Rosensträucher an zu blühen...



Und auch die Bäume sind mittlerweile alle grün geworden...





Samstag ist Markttag!

Wie schon die vorhergegangenen beginnt auch dieser Tag mit strahlend blauem Himmel und lautem Vogelgezwitscher. Jedoch während ich unter der Woche das Wetter hauptsächlich auf dem Weg zu und von der Uni oder in der Mittagspause genießen konnte, ist heute Samstag: frei! Richtig frei sogar, dadurch, dass meine Freunde alle auf irgendeine Art beschäftigt sind. Was also tun, um diesen herrlichen Tag so richtig zu nutzen?

Meine Antwort: Mercato di Pian di Massiano. Das ist der Wochenmarkt Perugias, der jedoch (wohl aufgrund von Platzmangel) nicht in der Innenstadt abgehalten wird, sondern auf einem großen Platz etwas außerhalb, dem Stadion gegenüber - weshalb ich bis jetzt auch noch nicht dort war.

Ein rappelvoller Bus bringt mich zur Piazza Umbria Jazz, wo sich Autos und Menschen drängen. Die Beschreibung, die ich vorher in einem Heftchen gelesen hatte, trifft den Markt recht gut: Ein Supermarkt im Freien. Nur, ein Supermarkt, in dem man so ziemlich ALLES bekommt! Erstaunlicherweise sind die Lebensmittelläden in der Minderheit, dominiert von Imbißständen mit Porchetta (Spanferkel) und anderen Spezereien. Dafür gibt es umso mehr Kleiderstände mit überquellenden „Wühltischen“, die eifrig von Italienerinnen jeden Alters durchforstet werden.

Daneben Schuh- und Taschenstände, Haushaltsartikel (Töpfe, Bestecke, Espressomaschinen, …), Bücher und - wohl für die Männer der Frauen an den Wühltischen – einen Werkzeugstand.

Dazwischen auf einmal aufgeregtes Gezwitscher: Ein Zoostand mit Vögeln, Fischen und Kaninchen. In einem Mini-Käfig mauzt eine kleine Katze, die ich vor Mitleid beinahe gekauft hätte… Einen Farbkleks stellen die Blumenstände dar, die ihre Pflanzen auf dem Boden ausgebreitet haben.

Und dann, neben einem Stand mit getrockneten Früchten und Nüssen: Käfige mit Hühnern, Gänsen und Perlhühnern, die laut vor sich hin gackern. Um eine Kiste steht eine Gruppe Italiener mit einem Kind, das gebannt in deren Inneres schaut. Einen Moment später verstehe ich warum: Der Verkäufer greift hinein, steckt zwei hilflos zappelnde gelbe Küken in eine Plastiktüte, ein Geldschein wechselt den Besitzer und die Gruppe zieht um zwei Lebewesen erweitert davon.

Irgendwie habe ich mich in meiner Tierliebe doch zurückhalten und als ich gegen Mittag den Markt verlasse, befinden sich in meinen Tüten weder Katze noch Küken noch Kaninchen…

Mein Mittagessen verbringe ich in meinem Lieblingspark oberhalb des Unigebäudes, wo ich meine anschließenden Versuche zu lernen schnell aufgebe und mich doch lieber meinem Buch widme...

Freitag, 13. April 2007

Ein Sonntag in den Bergen

Wie wir es noch am Abend mit Alessio ausgemacht haben (der faszinierenderweise nur etwa zwanzig Schritte von mir entfernt wohnt), treffen wir uns am nächsten Morgen gerüstet für einen Tag im Gestein. Alessios Mitstreiter lassen nicht lange auf sich warten. Der eine, Andrea, ist noch Student, der gerade seine „Tesi“ schreibt (zu gut Deutsch „Bachelorarbeit“); Marco mit seinen langsam ergrauenden Haaren ist schon etwas älter und arbeitet freiberuflich. Auf geht’s im Auto in Richtung Berge. Nach einer kurzen Einführung in die Geologie Umbriens – während der Alessios Englischkenntnisse von den anderen beiden mit bewundernden Kommentaren gewürdigt werden – geht es in einem Kauderwelsch auf Italienisch, Deutsch und Englisch weiter, wobei abwechselnd Alessio und ich die Übersetzung der italienischen Teile für Karl übernehmen.

Endlich verlassen wir die dicht besiedelte und von Industrie geprägte Valle Umbra und schlängeln uns langsam hinter Foligno in die Berge hinein. In der Nähe eines kleinen Ortes erspähen wir eine Einsiedelei, die sich wie ein Vogelnest an die steile Felswand klammert.

Wir haben uns schon öfters einmal über die Einstellung der Italiener zum Essen unterhalten – und heute werde ich einmal mehr darin bestärkt, dass diese eine andere ist, als bei uns. Wir wollen noch Sandwiches für die Mittagspause besorgen – bei deutschen Studenten (Ausnahmen bestätigen die Regel *g*) würde das bedeuten, dass man wohl noch bei McDoof, Subways oder einer sonstigen Kette vorbeischaut – oder vielleicht ein lieblos geschmiertes Brötchen aus der Bäckerei befreit. Nicht so hier.
Wir halten vor einem Geschäft, dessen Schild „prodotti tipici“ die umbrische Feinkost anpreist, die hinter der Ladentheke zu finden ist: Hausgemachte Salami neben appetitlich aussehenden Schinken und Mortadella, eingelegte Spezereien wie Auberginen, Tomaten und Oliven und eine vor Pecorinos aller Variationen überquellende Käsetheke. Die freundliche Frau dahinter scheint die Jungs schon von den vorhergegangenen Tagen zu kennen: Sie plaudert ein wenig und freut sich, wie diese über ihre Salamibrötchen mit Pecorino schwärmen. Dann bereitet sie liebevoll und in aller Ruhe unsere Vesperbrote: eines mit der eben angepriesenen Kombination und das andere mit einer dicken Scheibe der ebenfalls hausgemachten Porchetta. Der Rest des Ladens besteht aus anderen Spezialitäten: Steinpilz- und Trüffelpasta, Weine und Liköre. Wir sind fünf Schritte vom Laden entfernt, als Alessio aprupt kehrt macht und in den Laden zurückgeht: Das wichtigste für unser Mittagessen fehlt noch – die nach getaner Arbeit wohlverdiente Flasche Montepulciano-Rotwein. Dieser Wein hat dieses Jahr immerhin die Auszeichnung, der beste der Welt zu sein, gewonnen – und außerdem, so unsere Begleiter, gilt das Sprichwort: Wer keinen Wein trinkt, hat auch Wasser nicht verdient!
Noch im Auto loben unsere drei Geologen den Spezialitätenladen: Das Preis-Leistungsverhältnis sei ausgezeichnet und die Salami wirklich ein Traum…

Überhaupt scheinen in Italien die Menschen sehr viel mehr über das Essen zu reden. Wie Karl und ich in Florenz auf Einlass in die Grabkapelle der Medici warteten, diskutierte ein älterer Herr mit dem Aufpasser am Museumseingang über die perfekte Zubereitung seiner Lieblingspasta, begleitet von entsprechenden Gesten und dem wohlbekannten Ausruf „Buonissimo!“
Als ich einmal in die Runde fragte, ob man denn in Italien jeden Tag mit Antipasto, Primo und Secondo essen würde, war die Antwort „Nein, nicht immer. Eigentlich nur bei besonderen Anlässen. Aber – wenn du bei der Mama wohnst, dann schon!“ Was mir vor kurzem Margherita noch einmal bestätigte und meinte, ihre Mama würde niemals nur Pasta machen.

Aber zurück ins voll bepackte Auto, zu den vier Geologen und der einen verirrten Physikerin, das sich langsam aber sicher weiter in die einsame und ärmliche Bergwelt Umbriens begibt. Die Dörfer werden immer kleiner, die Häuser schäbiger. Auch der Frühling hat sich hier noch nicht so weit hervorgetraut wie im Tal. Die waldige Hügellandschaft erinnert an die Schwäbische Alb.

Und schließlich, mitten im Nichts, ruft Marco "Da ist es!", und wir halten am Straßenrand, an deren einer Seite ein Aufschluss mit weißem geschichtetem Kalk liegt, der mit roten Markierungen und Numerierungen verschönert wurde. Unsere drei Freunde müssen den ganzen Aufschluss mit seinen Schichtabfolgen kartieren und Proben von den einzelnen Schichten
nehmen. Dabei handelt es sich um Kalkabfolgen aus dem Jura (etwa gleiche Entstehunungszeit wie die der Schwäbischen Alb). Die Abfolgen entstanden aus den Überresten von Mikroorganismen eines großen Riffs, die nach ihrem Tod in die Tiefe absanken. Leider gibt es hier am mit bloßem Auge nicht viel zu entdecken, da sich die drei Paläontologen vor allem mit Mikrofossilien beschäftigen. Mit Hammer, Block und Bleistift bewaffnet machen sie sich an die Arbeit.

Währenddessen versuche ich gemeinsam mit Karl die kurze Einführung in die Geologie Umbriens aus Marcos Geologieführer (nennt man das so?) zu übersetzen und verstehen, was sich als recht mühsam herausstellt.

Das herbeigesehnte Mittagessen verbringen wir auf einer grünen sonnenüberfluteten Wiese, unterhalten durch wilde Geschichten über italienische Geologieprofessoren (unter anderem einen auf seinem Gebiet durchaus führenden Paläontologen, der jedoch eher selbst seinen Ammoniten ähnelt, die seine liebsten Gesprächspartner sind… ). Die Versperbrote erweisen sich wirklich als überaus wohlschmeckend…

Als auch der letzte Schluck Wein im genießenden Gaumen verschwunden ist, löst sich die lustige Runde auf, um weiterzuarbeiten oder – Karl und ich – die Gegend zu erkunden. Hinter einem Dorf, das aus einer handvoll tristen Häusern besteht und bis auf eine Horde laut kläffender Hunde absolut verlassen erscheint, entdecken wir einen weiteren Ort, der am Berg klebend über dem Tal thront.

Natürlich müssen wir dort hinauflaufen, auch wenn dunkle Wolken drohen, ihren Kampf mit der Sonne aufzunehmen, die sich bereits hinter ein paar Schleierwolken vor ihnen versteckt. Kurz vor dem Zeil entladen sie ihren Inhalt und es beginnt zu regnen. Kurz vor dem Zeil können wir natürlich nicht aufgeben, und schließlich sind wir nicht aus Zucker! Ob die ausgestorben wirkende, heruntergekommene Gasse, die uns schließlich empfängt, diese Mühe wirklich gelohnt hat, bleibt fraglich. Ebenso, ob sich in diesem Ort außer uns lebende Wesen aufhalten.

Doch die Antwort werden wir nie erfahren… Wir machen uns auf den feuchten Abstieg. Kurz unterhalb des Dorfes doch noch andere Wesen: ein knorriges altes Männchen nuschelt uns unverständlich einige freundliche Worte zu, worauf wir mit ebenso freundlichem Nicken antworten. Ein stolzer Hahn macht empört Platz für uns, gefolgt von seinem bewundernden Harem. Auf halber Höhe dann ein bekanntes Auto: Die drei Geologen hatten sich schon auf die Suche nach uns begeben, um zu verhindern, dass wir nass werden. Eine Frau hat ihnen schließlich den Tipp gegeben, dass wir den Berg hinaufgelaufen sind…

Wir fahren mit dem Auto heimwärts, hindurch zwischen steilen Bergflanken und einsamen Dörfchen. Alessio hatte uns auf der Hinfahrt gefragt, ob wir nicht Lust hätten, nach getaner Arbeit abends noch zu einem anderen geologischen Aufschluss zu fahren, wo man auch große Fossilien finden kann. Dieser Vorschlag erweist sich aber als nicht praktikabel (man muss sich anseilen, um dorthin zu gelangen), also bekommen wir ein Alternativprogramm angeboten. Eine Burg, die an unserem Weg liegt fahren wir an, wobei die Grundmauern die man von der Straße aus gesehen hatte so ziemlich das einzige war, das noch steht. Im Burghof ist heute ein Friedhof. Nach einem kurzen Spaziergang wendet Alessio das Auto auf der schmalen Straße unter der Burg wieder und wir fahren weiter.

Aber wie es aussieht haben die drei Geologen noch immer das Befürfnis, uns etwas zu bieten, wo doch die Burg von Nahem betrachtet gar nicht so beeindruckend war. Also entscheiden sie kurzerhand, dass wir nicht eher nach Perugia zurückfahren können, bevor wir nicht den Gipfel des Monte Subasio gesehen hatten, der auch geologisch interessant ist. Nichts leichter als das: Wir fahren von der Autobahn ab, an Assisi vorbei und am Eremitum (das wir noch tags zuvor im Schweiße unseres Angesichts erkrakselten), Serpentine um Serpentine in immer größere Höhen und mit immer schlechterem Straßenbelag. Schließlich haben wir den Gipfel (laut Wikipedia: 1290 Meter) erreicht. Der ist nur von einem gräulichen Gras bewachsen und als wir aussteigen, schlägt uns ein eisiger Wind entgegen und an die ersten ziemlich kalten Tage in Perugia erinnert.

Eingemummelt in unsere Jacken laufen wir los, einen noch schneebedeckten steilen Hang in die Höhe. Plötzlich blicken wir in einen sicher 20 Meter tiefen Krater, der fast wie eine Vulkancaldera aussieht. In Wahrheit besteht der Monte Subasio aber aus dem gleichen Kalkstein, den die Geologen zuvor bearbeiteten und der (in roter und weißer Färbung) auch viele Kirchen der Region aufbaut. An dieser Stelle hat Regenwasser begonnen, den säureanfälligen Kalkstein aufzulösen und den Berg mehr und mehr ausgehölt. Laut Alessio tritt das Phänomen häufiger im Balkan auf und ist in Mittel-Süd-Europa eher selten.
Nach einem Gruppenfoto beenden wir unseren Spaziergang schnell (es ist hundekalt!) und kuscheln uns bald wieder in Alessios kleinen Fiat, um die Heimreise anzutreten, mit dem guten Gefühl, ein sehr erfahrungsreiches Wochenende gehabt zu haben.


Donnerstag, 5. April 2007

Eroberung Assisis und nachfolgender Siegesschmaus

Wenn man seinen Blog so lange vernachlässigt, sammeln sich die Erlebnisse und Eindrücke so sehr, dass man gar nicht weiß, wo anfangen. Um erst einmal einen Überblick zu verschaffen:
Ich habe jetzt seit zwei Wochen Besuch vom Karl, der an einem sehr sonnigen Samstagmittag mit dem Zug hier angekommen ist. Um uns gleich die nötige Privatsphäre zu verschaffen, ist meine Mitbewohnerin kurzerhand bis nach Ostern nach Hause gefahren, und so können Karl und ich Alltägliches wie auch weniger Alltägliches zusammen genießen.

Das etwas nasskalte Wetter in Perugia hielt uns dann vorletztes Wochenende nicht davon ab, einen Dreitages-Tripp nach Florenz zu machen, wovon wir in Kürze noch berichten werden.

Jetzt aber erst einmal zu den Bildern und Eindrücken, die noch ganz frisch vor unseren geistigen Augen umherschwirren und kaum Zeit hatten, sich zu ordnen oder gar zu setzen. Das Wochenende begann schon am Freitag mit einem Wetterbericht: (Endlich!) Sonne und Temperaturen über 10 Grad waren angesagt. Wir ließen uns das nicht zweimal vorhersagen und brachen am Samstag in der Frühe auf in Richtung Assisi, der Stadt des Heiligen Franziskus am Fuße des Monte Subasio, die nur 20 Zugminuten von Perugia entfernt liegt.

Der Fuß des Monte Subasio ist allerdings noch nicht gleichzusetzen mit dem Ort des Bahnhofes Assisi, von dem aus man die beeindruckenden Klosteranlagen und die über allem thronende Burg, die durch den Frühnebel hinter einem weißen Schleier in Pastelfarben leuchten, in einiger Entfernung bewundern kann. Wofür man auch genügend Zeit hat, denn der Bus, der die Reisenden schnell an ihr frommes Ziel bringen kann, wartet nicht. Um keine kostbare halbe Stunde dieses wundervollen Tages durch das Warten auf den nächsten zu vergeuden, schreiten wir – so viel gebührlicher – durch saftig grüne Felder und frühlingshaftes Vogelgezwitscher auf die langsam näherrückende Kulisse aus Mauern, Dächern und Glockentürmen zu.

Vielleicht verschreckt von der warmen Sonne haben sich noch nicht viele Touristen in Assisi eingefunden. Vielleicht sehen wir beim Durchqueren des Stadttores aber auch so wenige Menschen, da wir uns durch kleinere Nebengässchen in Richtung Stadtzentrum schlängeln – und dabei wohlweislich die Basilika der heiligen Franziskus links liegen lassen. Stattdessen treten wir auf den Vorplatz Kirche San Pietro, vor der ein Mönch in brauner Kutte mit weißer Kordel auf einer Bank die warme Frühlingssonne genießt und dabei vollkommen die ruhige Ausstrahlung seiner Kirche verkörpert.

Direkt nach der Kirche laufen wir vorbei an gar schauderhaft geschmückten Häusen mit großen metallenen fackenhaltenden Drachen, die in seltsamem Kontrast stehen zu einem Heiligenportrait in nächster Nähe. Doch spätestens an der Piazza del Commune verfliegt der Zauber und die Gegenwart holt uns wieder ein, denn hier treffen wir auf die vermissten (?) Touristengruppen.

Nach einem kurzen Blick in den Dom San Rufino machen wir uns auf den Weg, dem Gewusel der Stadt zu entfliehen und hinter den Toren den Ort zu finden, der vielleicht noch ein wenig die Botschaft des Heiligen Franziskus erhalten hat: Eremo delle Carceri.

Im Schweiße unseres Angesichts bezwingen wir den steilen Weg, der sich am Monte Subasio in die Höhe schlängelt und den nur wenige Menschen zu Fuß nehmen. Nach einer willkommenden Stärkung vor den Toren des Eremitums betreten wir diesen heiligen Ort: Ein Schild weist alle paar Meter auf diese Tatsache hin - vollkommen unnötig.

In eine dicht bewaldete Einbuchtung des Bergs ist eine winzige Klosteranlage gezwängt worden, von der man zwar einen phänomenalen Blick ins Tal hat, von außen aber kaum zu entdecken ist. Nur ab und zu unterbricht der Flügelschlag der weißen Tauben die Stille.

Aber den ganzen Tag können wir hier nicht verweilen: Es liegt noch eine wichtige Aufgabe vor uns. Ein strammer Marsch führt uns bis an die Mauern der trutzigen Rocca Maggiore, die es einzunehmen gilt! Die Täler, die sich in alle Richtungen erstrecken, mit wachsamen Schießscharten überwachend, thront sie oberhalb von Assisi.

Der Zutritt über die metallende Zugbrücke verschaffen wir uns noch mit einem kleinen Bestechungsgeld: Schon stehen wir im Herzen der dreietagigen Feste, aus der ein etwas höherer Turm herausragt. Doch gerade aus diesem Teil nähern sich die britischen und italienischen Wachen: Mit Kameras bewaffnet und angsteinjagenden Uniformen stürmen sie aufs Letzte entschlossen auf uns zu. Gerade noch rechtzeitig flüchten wir uns in einen schmalen, düsteren, scheinbar endlosen Gang, breit genug für schmale Krieger. Unsere hallenden Schritte führen uns bis an eine steile Wendeltreppe, die wir eilig erklimmen.

Unsere Verfolger scheinen wir abgehängt zu haben und als wir die Spitze des polygonalen Turmes erreichen und vorsichtig über die Zinnen spähen, erblicken wir nur sorglose Burginsassen, die nichts von unserem Eindringen bemerkt haben.

Erst jetzt erkennen wir die geniale Idee des Architekten, gerade an dieser Stelle eine Burg mit hohem Spähturm zu errichten: Uns zu Füßen liegen die Dächer und Glockentürme von Assisi. Dahinter erstreckt sich ein weites Tal, an dessen Rand wir Perugia erahnen. Auf der anderen Seite dagegen blickt man auf Olivenhaine und unberührte Wälder, die sich an einem Einschnitt des Monte Subasio erstrecken.

Die Gunst der Stunde nutzend, beginnen wir das Paket zu öffnen, das wir während unserer Flucht die ganze Zeit eng bei uns getragen hatten und für das wir uns jeder Wache im Kampfe gestellt hätten. Schnell ersetzen wir das Banner der Feinde auf der Turmspitze durch unser eigenes. Nun weht über dem Tal das weiße Phi auf strahlend blauem Grund.

Nach erfüllter Mission machen wir müden Krieger uns auf den Heimweg. Doch noch ist der Tag lange nicht zu Ende!

Der kurze Zwischenstop in der Wohnung reicht gerade einmal zum Kontaktlinsen gegen Brille eintauschen und frische Kleidung überwerfen, dann geht es weiter zu unserer Abendverabredung: Giropizza mit Italienern!

Was, ihr wisst nicht, was das ist?! Dann höret und staunet wie wir frohlockten! Wie groß diese Veranstaltung werden würde, hätte ich nicht gedacht. Ich wusste nur von einigen Freunden, Laura, Margherita, Andrea und Enrico, dass sie kommen würden und „noch ein paar Freunde“. Am Treffpunkt warteten so circa 20 Personen, von denen ich den Großteil noch nicht kannte. Nachdem die letzten eingetrudelt waren, verteilten wir uns auf Autos und machten uns auf den Weg in irgendeine kleine Stadt irgendwo im Nichts in der Nähe (endlich wieder!) einer Burg. Bei meiner Müdigkeit schwankte ich zwischen Neugierde und Reue – Reue vor allem deswegen, weil mein Bett in (zumindest durch eigene Kraft) unerreichbare Ferne gerückt war und ich keine Ahnung hatte, wie lange heute Nacht die Pizza rotieren würde!

Laura hatte für uns eine lange Tafel in einem beheizten Zelt-Restaurant bestellt, das bereits für uns (wie in der Mensa!) mit Plastiktellern gedeckt war. Giropizza ist die italienische Version von „all you can eat“ – eben mit Pizza. Was aber nicht bedeutet, dass man sich eine ganze Pizza nach der anderen bestellen muss. Vielmehr reicht der Kellner eine in Stücke geschnittene Pizza nach der anderen herum, die deutlich schneller verschwunden ist, als der Nachschub geliefert wird. Dabei „rotiert“ der Belag der Pizza mit der Zeit.

Wie fast überall in Italien gehört mindestens eine Vorspeise mit dazu. Auf die Frage „Antipasti oder Pommes“ manifestiert sich eine deutliche Mehrheit für letzteres, unser erstes kulinarisches Aha-Erlebnis an diesem Abend. Einige Funghi, Quattro Formaggi und Vegitariane später dann das zweite: Zum Nachtisch gibt es Pizza Nutella! Was wir uns erstmal gar nicht vorstellen können – uns aber von allen Seiten mit „molto buono“ wärmstens empfohlen wird – mundet dann sogar uns.

Während des Essens gerät Alessio, ein Bekannter von Laura, völlig aus dem Häuschen, als er erfährt, dass Karl Geologie studiert. Er selbst arbeitet als Paläontologe an der Uni in Perugia und lädt uns nach nur zwei Sätzen der Konversation ein, am nächsten Tag zu einem Geländetag in den Jurakalk mitzufahren (mehr davon demnächst).

Als schließlich auch das letzte Stück Nutellapizza vertilgt ist, wird die Gitarre und ein Buch italienischer Volkslieder ausgepackt und losgelegt. Das Singen und der Spaß, den alle dabei hatten, sind unbeschreiblich – und obwohl wir nicht viel (Karl gar nichts) der Texte verstanden haben, so war alles mit so viel körperlichen Gesten begleitet, dass wir doch alles mitbekommen haben. Ein strahlender Enrico, der sich vor die „Hauptsänger“ Laura und Andrea auf einen Stuhl stellt und mit wilder Gestikulation alle zwanzig Studenten samt einem eigentlich unbeteiligten Nebentisch dazu bringt, an den passenden Stellen des Liedes aufzustehen, zu klatschen, zu pfeifen oder sonstige Geräusche von sich zu geben, um danach selbst eine Ballade „molto tragica“ vorzutragen; traurig schöne Gesänge eines Seemannes, der von den Sternen träumt – das alles wird uns wohl noch lange im Gedächtnis bleiben!