Dienstag, 6. März 2007

Italienische Physiker

Auch wenn ich am Freitag schon eine Vorlesung hatte, ist bei mir eigentlich erst heute so wirklich das Gefühl aufgekommen, an der Uni angekommen zu sein. Dann auch gleich so richtig: Ich hatte heute drei Vorlesungen, die sogar alle stattgefunden haben.

In der ersten (Fisica dei Mezzi Continui) waren wir wieder zu dritt: Außer mir noch zwei andere Mädels, Laura und Francesca. Die beiden haben mir denn auch erzählt, dass das gar nicht so verwunderlich ist, dass wir so wenige sind, denn im Semester sind insgesamt sowieso nur so etwa 15 (!!!) Leute. Das sind die, die von den Anfänglichen 25-30 noch übrig sind, um die „Laurea Specialistica“ (besser bekannt unter dem Namen „Master“) zu machen. Was dabei aber total verblüffend ist, dass mindestens die Hälfte der Studenten Mädels sind!

Die Einführung des Professors bestand darin, einige Beispiele ohne viele Erklärungen mehr oder weniger unzusammenhängend aneinanderzureihen, mit besonderem Schwerpunkt auf einem Experiment, dass er selbst gemacht hat und auf das er ziemlich stolz zu sein scheint. In der Vorlesung soll es um Akkustik gehen, aber Francesca erzählte mir, dass sie den Professor schon aus einer anderen Vorlesung kennt und sein Stil sich wohl nicht groß ändern wird – viele Bespiele und sehr wenige Erklärungen. Da der gute Mann außerdem weder Skript noch Tafelanschrieb hat noch sich nach einem Buch richtet und überdies seine Sprechweise eher nuschelnd ist, habe ich heute schon entschieden, diese Vorlesung aus meinem Programm zu streichen. Das ist nicht weiter schlimm, da ich ohnehin irgendeine der Veranstaltungen, die ich mir bisher ausgesucht hatte, weglassen muss (6 Vorlesungen a 4 Stunden sind dann doch ein bisschen viel…).

Zum Glück hört Francesca auch „Fisica Atomica“, denn ohne sie hätte ich erstens nicht gewusst, dass man sich heute im Büro des Professors traf, um den Zeitpunkt der Vorlesung festzulegen und zweitens selbst wenn ich es gewusst hätte dieses Büro im Chemiebau nicht gefunden. Die Vorlesung ist sowohl für Physik- als auch für Chemiestudenten, weshalb wir doch auf eine stattliche Zahl von etwa 10 Zuhörern gekommen sind. Vielleicht weil ich eigentlich alles, was wir heute gemacht haben, schon mal gehört habe, hatte ich keine Schwierigkeiten, dieser Vorlesung zu folgen. Der Professor hat einen schön klaren Stil, schreibt an die Tafel, erklärt sehr ausführlich und zudem hat Francesca gemeint, dass ich mir bestimmt seine Aufschriebe, anhand derer er die Vorlesung hält, kopieren kann, wenn ich ihn frage.

Nach den vier Stunden hatte ich einen mordsmäßigen Hunger. Irgendwie scheint es nicht so üblich zu sein, in die Mensa zu gehen – wahrscheinlich, weil es viele gute andere Möglichkeiten gibt, die auch nicht weiter weg und billiger sind. Francesca nahm mich mit zu einer Pizzeria (über die man hier etwa alle zehn Meter stolpert) und wir setzten uns mit unserem ergatterten Mittagessen in die Sonne vor dem Physikbau.
Dort übte ich mich in italienischer Konversation und erfuhr dabei so manches über das Physikstudium in Perugia, aber auch, dass Francesca in Maggiore wohnt (das ist in der Nähe des Trasimener Sees) und jeden Tag pendelt, außerdem so gut wie keine Freizeit hat, weil sie nebenher am Wochenende und auch sonst abends kellnert.

In der Uni zeigte sie mir das schwarze Brett, an dem die Professoren Ankündigungen aushängen (wenn sie Lust haben) – dabei entdeckte sie gleich, dass die Vorlesung, auf die sie eigentlich gerade wartete, erst nächste Woche anfängt. Es geht als allen so - nicht nur mir!

Was mir die letzten Zweifel nahm, ob ich mich in Perugia an der Uni wohl fühlen könnte: Lachend und plappernd kamen einige Studenten auf den Platz vor dem Physikgebäude, setzten sich auf den Boden – und fingen an, Karten zu spielen! Eines der Mädels war Laura, die ich aus meiner ersten Vorlesung vom Morgen schon kannte. Francesca verabschiedete sich um heimzufahren und ich setzte mich zu den Kartenspielern, um vielleicht ein paar Regeln aufzuschnappen. Viel habe ich nicht kapiert – außer, dass man zu viert spielt, je zwei in einem Team und es am Ende jeder Runde elf Punkte zu verteilen gibt. Lauras Team gewann prompt die nächsten beiden Runden und damit das Spiel und Andrea (das ist ein Männername in Italien!) wollte mich gleich mal nach Hause schicken…

Auch wenn ich natürlich nicht so gut in Gesprächen mitkomme, wurde ich gleich eingebunden, als sei es ganz natürlich, dass ich dazugehöre. Nach dem Spiel präsentierte Laura ein paar Deutschkenntnisse, die sie von ein paar Kindern aufgeschnappt hat, Andrea rief „Fischers Fritze fischt frische Fische“ und die Atmosphäre war total gelöst. Die anderen gingen dann weiter zum Lernen, ich musste zu meiner Vermieterin, um Waschmarken zu kaufen – aber die gute Laune blieb mir. Und ich habe das Gefühl: Jetzt bin ich wirklich angekommen!

Von 17 bis 19 Uhr (unmenschliche Uhrzeit!) hatte ich noch eine Vorlesung, Fisica Teorica, in der es wohl hauptsächlich um Quantenmechanik gehen wird. Mein erster Physikkurs, der von einer DozentIN gehalten wird! So viel Kontakt sammelte ich hier nicht mehr, nach dem Tag war ich total erschlagen und ich ging nur noch einkaufen und dann nach Hause.

Es ist im Moment schon viel anstrengender, als wenn ich nur die Vorlesungen auf Deutsch hören würde. Ungefähr so, als hätte ich den ganzen Tag Italienisch-Unterricht non-stop! Mir schwirrt der Kopf mit irgendwelchen wirren italienischen Satzfetzen und Worten, bis ich es schaffe, meinem Hirn klarzumachen, dass ich mir meine eigenen Gedanken noch nicht auf italienisch übersetzen muss…

Keine Kommentare: